Deutschland steht vor einem der tiefgreifendsten demografischen Wandlungsprozesse seiner Geschichte. Die sogenannte “Alternde Gesellschaft” ist längst keine Prognose mehr, sondern Realität, die tiefgreifende Auswirkungen auf nahezu alle Lebensbereiche hat – von der Gesundheitsversorgung über den Arbeitsmarkt bis hin zum sozialen Miteinander. Doch dieser Wandel birgt nicht nur Herausforderungen, sondern auch enorme Chancen, insbesondere durch den gezielten Einsatz von Informationstechnologie. In diesem Kontext gewinnt die Forschung an der Schnittstelle von demografischem und digitalem Wandel immer mehr an Bedeutung, um die wirtschaft und gesellschaft auf diese Veränderungen vorzubereiten und aktiv mitzugestalten.
Die Vision ist klar: Ein Leben in sozialer Teilhabe, Mobilität und Selbstständigkeit bis ins hohe Alter soll für jeden möglich sein, begleitet von einem hohen Maß an häuslichem Wohlbefinden, guter Gesundheit und Lebensqualität. Dies erfordert innovative Ansätze und ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse einer sich wandelnden Bevölkerung.
Der demografische Wandel in Deutschland: Eine Herausforderung und Chance
Die Zunahme des Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung ist ein globales Phänomen, in Deutschland jedoch besonders ausgeprägt. Dieser Wandel stellt Gesellschaft, Politik und Wirtschaft vor die Aufgabe, neue Wege für eine zukunftsfähige Gestaltung des Zusammenlebens zu finden. Es geht darum, nicht nur die Versorgung im Alter zu sichern, sondern auch die Potenziale und die Lebensqualität älterer Menschen aktiv zu fördern. Dabei spielen intergenerationelle Konzepte, die ein gutes Leben für alle Altersgruppen ermöglichen, eine zentrale Rolle. Es ist die Vielfältigkeit individueller Bedürfnisse und Wünsche, die es zu berücksichtigen gilt, um soziale Teilhabe über alle Lebensphasen hinweg zu gewährleisten.
Die Rolle der Informationstechnologie: Innovationspotenzial für ein gutes Leben im Alter
Neue Technologien werden als Schlüssel zum Meistern der Herausforderungen einer alternden Gesellschaft betrachtet. Ihnen wird ein hohes Innovationspotenzial für die zukünftige Versorgung im häuslichen Bereich sowie im Rahmen der gesundheitlichen Versorgung zugesprochen. Von Ambient Assisted Living (AAL)-Systemen, die den Alltag erleichtern, über Telemedizin-Anwendungen bis hin zu sozialen Robotern – die Bandbreite digitaler Lösungen wächst stetig. Um dieses Potenzial jedoch voll ausschöpfen zu können, ist ein fundiertes Verständnis der Alltags- und Lebensweltkontexte älterer Frauen und Männer unabdingbar. Es bedarf eines tiefen Einblicks in deren Aneignungs- und Nutzungspotenziale moderner Medien, denn nur so können Technologien entwickelt werden, die wirklich nützlich, akzeptiert und nachhaltig eingesetzt werden.
Eine Grafik, die die Verknüpfung von Reallaboren, Partizipation und demografischem Wandel darstellt
Praxlabs: Ein partizipativer Ansatz für praxisnahe IT-Gestaltung
Am Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik, insb. “IT für die alternde Gesellschaft”, wird dies durch den Siegener Reallabor-Ansatz “Praxlabs” umgesetzt. Dieses innovative Forschungsparadigma basiert auf praxisbasierter und partizipativer Forschung, die Technikgestaltung und Aneignungsforschung in einem multiperspektivischen Ansatz ermöglicht. Im Kern geht es darum, soziale Praktiken im natürlichen Umfeld zu verstehen, innovative IT-Artefakte partizipativ zu gestalten und den transformativen Charakter der Aneignung von IT-Artefakten zu erforschen und zu verstehen. Die Praxlabs schaffen einen Raum, in dem Forschende und zukünftige Nutzer auf Augenhöhe zusammenarbeiten, um maßgeschneiderte und alltagsrelevante Lösungen zu entwickeln.
Co-Creation im Healthy Ageing: Gemeinsam digitale Lösungen entwickeln
Für die partizipative IT-Gestaltung im Feld “Healthy Ageing” sind besondere Co-Creations-Methoden unerlässlich. Ziel ist es, einen gemeinsamen Gestaltungsraum zwischen allen Beteiligten – seien es Senioren, Pflegekräfte, Angehörige, Berater oder Dienstleister – aufzubauen. Dies beginnt damit, nicht technikaffine Teilnehmer über die gesamte Projektlaufzeit hinweg an mögliche Nutzungsoptionen von IT heranzuführen. Hierfür kommen angepasste Partizipationsmethoden zum Einsatz, die auf konstruktivistischen Lehr-/Lernkonzepten basieren. Soziales und erfahrungsbasiertes Lernen bilden das Fundament für die Entwicklung von Skills, Kompetenzen, aber auch positiven Haltungen gegenüber neuer Technologie. Diese wiederum sind die Basis für ein wirklich beteiligungsorientiertes Design, das die Bedürfnisse der Zielgruppe in den Mittelpunkt stellt.
Eine Grafik, die den Co-Creation-Prozess bei der Entwicklung digitaler Lösungen illustriert
Technikentwicklung im Spannungsfeld von Mikro- und Makroebene
Lern- und Gestaltungsprozesse im Praxlab weisen einen hohen Lebensweltbezug auf, da die Forschenden sich aktiv in die Lebenswelten der Zielgruppen begeben. Doch Technikentwicklung und -aneignung finden nicht im Vakuum statt, sondern in Diskursen und Spannungsfeldern zwischen Mikro- und Makroebene. Neben der primären Zielgruppe werden daher weitere relevante Stakeholder im Rahmen des Praxlabs-Ansatzes integriert. Die öffentlichen “Bilder des Alters und des Alterns” konturieren nicht nur die Bereitschaft, Akzeptanz und Zugänge zum Kennenlernen und Nutzen von neuen Technologien unter älteren oder technikfernen Personen. Auch die Vorstellungen, Haltungen und Interessen im Industrie- und Dienstleistungsektor sowie auf der Policy-Ebene prägen den aktuellen Diskurs um Healthy Ageing, Technologiesupport und das Lernen mit digitalen Werkzeugen entscheidend mit.
Die wirtschaft und gesellschaft stehen vor der Aufgabe, diesen Diskurs aktiv zu führen und die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche digitale Transformation zu schaffen. Nur so kann das volle Potenzial der IT für eine inklusive und lebenswerte alternde Gesellschaft ausgeschöpft werden.
Fazit
Die alternde Gesellschaft stellt Deutschland vor komplexe Herausforderungen, die jedoch durch innovative Forschung und den intelligenten Einsatz von Informationstechnologie gemeistert werden können. Ansätze wie die Praxlabs zeigen, dass die partizipative Entwicklung digitaler Lösungen, die auf den tatsächlichen Bedürfnissen älterer und vulnerabler Menschen basieren, der Schlüssel zu einem selbstbestimmten und sozial integrierten Leben im Alter ist. Indem wir ein tiefes Verständnis für die Lebenswelten entwickeln und alle relevanten Akteure in den Gestaltungsprozess einbeziehen, können wir die digitale Transformation so gestalten, dass sie allen zugutekommt. Bleiben Sie informiert über die neuesten Entwicklungen und die spannenden Projekte, die unsere alternde Gesellschaft aktiv und zukunftsfähig gestalten.
