Deutschland, bekannt für seine Innovation und wirtschaftliche Stärke, blickt stets kritisch auf die Säulen seiner Gesellschaft. Eine der wichtigsten davon ist das Bildungssystem. Jährlich liefert der INSM-Bildungsmonitor 2022 wichtige Einblicke in dessen Zustand, Stärken und Schwächen. Während Bundesländer wie Sachsen und Bayern erneut Spitzenpositionen einnehmen, zeichnet sich insgesamt ein alarmierender Trend ab: Der Fortschritt im Bildungsbereich stagniert, und in zentralen Feldern wie “Schulqualität”, “Hochschule/MINT” und “Integration” sind sogar deutliche Rückschritte zu verzeichnen. Für alle, die ein tiefes Verständnis von Deutschland und seiner Zukunftsfähigkeit gewinnen möchten, ist dieser Bericht eine Pflichtlektüre, denn er beleuchtet die Kernherausforderungen, denen sich das Land stellen muss. Wir präsentieren die wichtigsten Ergebnisse der Studie, um die Lage des deutschen Bildungssystems detailliert zu beleuchten.
Hauptaussagen des INSM-Bildungsmonitors 2022
Der aktuelle INSM-Bildungsmonitor identifiziert drei zentrale Erkenntnisse, die das Bild des deutschen Bildungssystems prägen und Handlungsbedarf aufzeigen.
Ranking der Bundesländer im INSM-Bildungsmonitor 2022: Sachsen und Bayern führen das deutsche Bildungssystem an
1. Rangliste der Bundesländer: Sachsen und Bayern an der Spitze
Im Durchschnitt aller bewerteten Handlungsfelder des INSM-Bildungsmonitors 2022 erzielen Sachsen und Bayern die besten Gesamtergebnisse. Mit einem gewissen Abstand folgen Thüringen und Hamburg, die eine starke zweite Gruppe bilden. Das Saarland und Baden-Württemberg rangieren als dritte Gruppe. Auf den Plätzen sieben und acht finden sich Hessen und Niedersachsen. Das breite Mittelfeld des Bildungsmonitors erstreckt sich von Schleswig-Holstein auf Platz neun bis hin zu Brandenburg und Nordrhein-Westfalen, die sich gemeinsam Platz 13 teilen. Deutlich abgeschlagen folgen Sachsen-Anhalt und auf dem letzten Platz Bremen.
Der INSM-Bildungsmonitor analysiert die Bildungssysteme anhand von 13 spezifischen Handlungsfeldern, in denen verschiedene Bundesländer ihre jeweiligen Stärken zeigen:
- Sachsen brilliert mit drei Spitzenplätzen in den Bereichen Förderinfrastruktur, Schulqualität und Forschungsorientierung. Nachholbedarf besteht jedoch bei der Zeiteffizienz und der Digitalisierung.
- Bayern ist führend in der beruflichen Bildung und bei der Prävention von Bildungsarmut. Trotz beachtlicher Fortschritte in den letzten Jahren hat das Land weiterhin Potenzial beim Ausbau der Förderinfrastruktur.
- Thüringen sichert sich den Spitzenplatz bei der Ausgabenpriorisierung, steht jedoch vor besonderen Herausforderungen hinsichtlich der Inputeffizienz und der Digitalisierung.
- Hamburg überzeugt im Handlungsfeld Internationalisierung, muss aber trotz großer Fortschritte weiterhin bei Schulqualität und Bildungsarmut ansetzen.
- Brandenburg belegt den ersten Platz im Bereich Integration, weist aber deutlichen Nachholbedarf bei Forschungsorientierung, Hochschule/MINT und Digitalisierung auf.
- Berlin zeichnet sich durch hervorragende Betreuungsbedingungen aus, zeigt aber weiterhin Schwächen in den Handlungsfeldern Bildungsarmut, Schulqualität und berufliche Bildung.
- Nordrhein-Westfalen erreicht den ersten Platz bei der Zeiteffizienz, hat jedoch signifikante Schwächen bei den Betreuungsbedingungen und der Ausgabenpriorisierung.
- Besonders ausgeprägt sind Stärken und Schwächen beim Schlusslicht Bremen. Bestwerte in den Bereichen Inputeffizienz, Hochschule/MINT und Digitalisierung stehen letzten Plätzen in Schulqualität, Bildungsarmut und Integration sowie einem vorletzten Platz bei der Förderinfrastruktur gegenüber.
2. Schwachstellen im Bildungssystem: Schulqualität, Integration und MINT unter Druck
Der INSM-Bildungsmonitor 2022 offenbart im Vergleich zum Monitor 2013, der erstmals die aktuelle Methodik und Indikatorenwahl nutzte, insgesamt nur noch sehr geringe Fortschritte. Dies ist ein klares Zeichen für eine Stagnation im System.
- Im Vergleich zum INSM-Bildungsmonitor 2013 konnten sich das Saarland (+12,6 Punkte), Hamburg (+7,8 Punkte), Berlin (+5,6 Punkte), Brandenburg (+5,4 Punkte) und Bayern (+4,6 Punkte) am stärksten verbessern. Demgegenüber verschlechterten sich die Ergebnisse am stärksten in Bremen (-4,5 Punkte), Sachsen-Anhalt (-4,2 Punkte) und Baden-Württemberg (-4,0 Punkte).
- Relativ starke Verbesserungen gab es in den Handlungsfeldern Internationalisierung (+18,8 Punkte), Förderinfrastruktur (+17,7 Punkte) und Betreuungsbedingungen (+16,6 Punkte). Gravierende Rückschritte sind jedoch in den ergebnisorientierten Handlungsfeldern festzustellen, allen voran bei der Schulqualität (-18,0 Punkte), bei Hochschule/MINT (-8,0 Punkte) und bei der Integration (-7,8 Punkte). Diese Entwicklungen sind besonders besorgniserregend, da sie direkt die Lernerfolge und Zukunftschancen der Schüler betreffen.
3. Problemfelder weiten sich aus: Pandemie und Digitalisierung als Herausforderungen
Die bereits in den Vorjahren negativ bewerteten Handlungsfelder Schulqualität und Integration – entscheidend für Bildungschancen – drohen sich durch die Folgen der Coronapandemie weiter zu verschärfen. Eine aktuelle Vergleichsstudie für die vierte Klasse dokumentiert sinkende Kompetenzwerte, eine Zunahme der Bildungsarmut und eine steigende soziale Selektivität im deutschen Bildungssystem. Auch im Bereich Hochschule/MINT sind für die kommenden Jahre weitere Verschlechterungen absehbar, was die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands beeinträchtigen könnte.
Ferner zeigen sich im Bereich der Digitalisierung große Herausforderungen. Die Ausbildung in der Informatik hinkt weiterhin den aktuellen und zukünftigen Bedarfen hinterher. Obwohl die Digitalisierung an Schulen in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht hat, nimmt die Reformdynamik am aktuellen Rand bereits wieder ab, und die wahren Potenziale digitaler Lehrmethoden wurden noch nicht vollständig ausgeschöpft.
Das Handlungsfeld „Digitalisierung“ wurde im Jahr 2022 erstmalig in den INSM-Bildungsmonitor aufgenommen. In diesem neuen Bereich überzeugen vor allem Bremen, Bayern und Baden-Württemberg. Bremen trägt besonders stark zur Ausbildung von Informatikern in Studium und beruflicher Bildung bei. In Bayern werden digitale Endgeräte häufig im Unterricht genutzt, und das Land meldet wie Baden-Württemberg viele Digitalisierungspatente an. Vergleichsweise ungünstig ist die Lage im Handlungsfeld Digitalisierung in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. In diesen Regionen mangelt es hinsichtlich des wichtigen Zukunftsthemas sowohl an schnellem Internet an Schulen als auch an einer ausreichenden Informatikerausbildung und an Digitalisierungspatenten.
Handlungsempfehlungen: Was jetzt getan werden muss
Um der zunehmenden Gefahr einer größeren Ungleichheit der Bildungschancen entgegenzuwirken und die Herausforderungen von Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie zu meistern, ist seitens der Bildungspolitik ein weitreichender Bildungsimpuls in zwei Schwerpunktbereichen dringend notwendig:
1. Chancengleichheit in der Bildung gezielt fördern
Um gleiche Bildungschancen zu schaffen, sind konkrete Maßnahmen erforderlich:
- Gezieltes Corona-Aufholprogramm: Es sollten an allen Schulen und in allen Jahrgängen systematisch Vergleichsarbeiten durchgeführt werden, um das Ausmaß des Lernverlustes präzise zu ermitteln. Auf dieser Grundlage können dann maßgeschneiderte Nachqualifizierungsprogramme entwickelt und entsprechende finanzielle Mittel bereitgestellt werden, um alle Schülerinnen und Schüler mit größeren Lernrückständen effektiv zu unterstützen.
- Ausbau einer hochwertigen Ganztagsinfrastruktur: Die Sprachförderung sollte möglichst frühzeitig und bei Bedarf sehr intensiv einsetzen. Eine Schlüsselrolle spielt der massive Ausbau der Infrastruktur an Kitas und Ganztagsschulen. Berechnungen zeigen, dass noch immer mehr als 340.000 Plätze für Kinder unter drei Jahren fehlen und auch Ganztagsplätze für Grundschulkinder mangelhaft sind. Durch die Erweiterung multiprofessioneller Teams (IT-Expertise, Gesundheit, Schulpsychologie) kann die individuelle Förderung an Schulen deutlich verbessert werden. Eine Weiterentwicklung der Bildungseinrichtungen zu Familienzentren kann zudem Eltern besser unterstützen und die Durchlässigkeit im Bildungssystem nachhaltig erhöhen.
- Investitionen in bessere Bildungschancen: Schulen und Betreuungseinrichtungen, die sich um besonders viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund oder sonstigem besonderen Unterstützungsbedarf kümmern, benötigen mehr Personal als andere. Lehrkräfte sollten für besondere Leistungen in Schwerpunktschulen zusätzlich honoriert werden. Darüber hinaus sollten Stellen für Chancenbeauftragte an Schulen geschaffen werden, die Konzepte entwickeln und umsetzen, wie die durch die Corona-Krise entstandenen Einbußen an Chancengleichheit kompensiert und langfristig nachhaltige Chancengleichheit in der Bildung erreicht werden können.
2. Digitalisierung und MINT-Kompetenzen nachhaltig stärken
Um Digitalisierung und MINT-Fächer voranzubringen, ist ein umfassender Ansatz über den gesamten Bildungsprozess hinweg erforderlich:
- Weiterentwicklung der Digitalisierung an Schulen: Um hohe computer- und informationsbezogene Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern zu fördern, müssen Bildungseinrichtungen mit den entsprechenden Technologien ausgestattet sein. Dazu gehören digitale Arbeitsplätze für Lehrkräfte und die Ausstattung aller Klassen mit notwendiger Hard- und Software für digital gestützten Unterricht. Hier besteht in Deutschland trotz Pandemie-Fortschritten weiterhin Nachholbedarf. Ein zweiter zentraler Schritt ist der Ausbau der Medienkompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern. Drittens müssen methodische Konzepte erarbeitet werden, wie Informations- und Kommunikationstechnologien gewinnbringend und zielführend eingesetzt werden, um einen echten Mehrwert zu schaffen, anstatt überlegene traditionelle Methoden nur zu ersetzen. Zudem ist die Entwicklung qualitativ hochwertiger digitaler Lernmaterialien essenziell.
- Stärkung der MINT-Kompetenzen: MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) ist entscheidend für Deutschlands Zukunft. Um die IT-Kompetenzen zu verbessern, sollte das Schulfach Informatik bundesweit in möglichst vielen Jahrgangsstufen unterrichtet werden. Zudem muss die Versorgung mit MINT-Lehrkräften sichergestellt werden, da der Mangel hier in den kommenden Jahren voraussichtlich zunehmen wird. Es sollten mehr MINT-Lehrkräfte ausgebildet und Quer- sowie Seiteneinsteiger passend qualifiziert werden. Durch eine klischeefreie Berufs- und Studienorientierung müssen die Potenziale von Frauen für MINT-Berufe besser erschlossen und die große Bedeutung der MINT-Berufe für den Klimaschutz deutlicher kommuniziert werden.
Fazit und Ausblick
Der INSM-Bildungsmonitor 2022 zeichnet ein differenziertes Bild des deutschen Bildungssystems: Während einige Bundesländer wie Sachsen und Bayern ihre Stärken beibehalten, zeigen sich systemische Schwächen, insbesondere in den Bereichen Schulqualität, Integration und MINT-Fächer. Die Auswirkungen der Coronapandemie und die Herausforderungen der Digitalisierung verschärfen diese Probleme zusätzlich. Es ist ein dringender Bildungsimpuls erforderlich, der sowohl auf die Schaffung gleicher Bildungschancen als auch auf die konsequente Förderung von Digitalisierung und MINT abzielt. Nur durch gezielte Investitionen, den Ausbau der Infrastruktur und die Stärkung von Lehrkräften und Lerninhalten kann Deutschland seine führende Position als Innovationsstandort langfristig sichern und jedem Kind die bestmöglichen Zukunftschancen bieten. Dies erfordert nicht nur politischen Willen, sondern auch ein gemeinsames Engagement aller Akteure im Bildungssystem.