Die Automobilindustrie ist ein Sektor, der sich durch ständige Innovation und technologische Weiterentwicklung auszeichnet. Im Herzen dieses Fortschritts liegen komplexe Product Lifecycle Management (PLM)-Systeme, die den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs von der ersten Idee bis zur Auslieferung und darüber hinaus steuern. Wie ein solches ideales PLM-System bei einem führenden Automobilhersteller aufgebaut sein sollte, ist eine häufig diskutierte Frage. Ob eine eher homogene Plattform wie bei Mercedes-Benz oder eine diversifizierte Lösung, wie sie bei BMW zum Einsatz kommt – die zentralen Bestandteile eines cPDm (collaborative Product Definition management)-Setups sind unabhängig vom gewählten Weg komplex.
Das Umfeld eines PLM-Setups ist stets von einer Vielfalt geprägt, wobei Hunderte von verschiedenen CAx- und anderen Softwaresystemen an die zentrale Struktur und Produktdatenbanken angebunden sind. Unabhängig davon ist die Wahl des CAD-Systems von großer Bedeutung. BMW’s jüngste Entscheidung, weiterhin in CATIA von Dassault zu investieren – einschließlich eines digitalen Zwillingskonzepts –, unterstreicht diese Tatsache, ebenso wie Mercedes’ Entscheidung im Jahr 2015, CATIA durch Siemens NX zu ersetzen.
Wir werden uns eingehend damit beschäftigen, wie BMW sein PLM-Setup im Jahr 2023 konfiguriert hat. Diese Strategie basiert auf mehreren kommerziellen Lösungen neben proprietären, selbst entwickelten Datenbanken. Ziel ist es, BMW durch Investitionen in Lösungen von drei großen PLM-Anbietern – SAP, PTC und Siemens Digital Industries Software – unabhängiger von einzelnen Zulieferern zu machen.
Im Gegensatz dazu hat Mercedes-Benz mit Siemens Teamcenter einen homogeneren Ansatz gewählt. Dies wird im weiteren Verlauf des Artikels durch ein Gespräch mit der Person, die bei Mercedes den Wechsel zu NX gesteuert hat, Alfred Katzenbach, näher beleuchtet.
BMW setzt in seinen Design- und Stylingprozessen auf CATIA V5 und Autodesk ALIAS. Im Bereich PLM/PDM werden drei kommerzielle Systeme eingesetzt: SAP IPPE, PTC Windchill und Siemens Teamcenter. (Bild: BMW.)
Hintergründe zu den Setups von BMW und Mercedes-Benz
BMW verfügt über eine Vielzahl unterschiedlicher Systeme und Zulieferer. Auf der PLM/PDM-Seite werden drei Systeme eingesetzt – wobei dies je nach Einbeziehung proprietärer Lösungen wie PRISMA (für Geometrie- und Funktionalitätsdaten), Fundus und TAIS (letzteres steht vor der Ablösung) als fünf oder sechs kategorisiert werden könnte. Zu den weiteren kommerziellen Systemen, die bei BMW im Jahr 2023 im Einsatz sind, gehören SAP IPPE, PTC Windchill und Siemens Teamcenter.
SAP IPPE wird für die Konfiguration und die Zusammenstellung von eBOMs (Engineering Bill of Materials, die auf der Konstruktionsarbeit basieren und die Grundlage für Fertigungsstücklisten bilden) verwendet.
PTC Windchill ist das neue System für mBOMs und für sBOMs zur Verwaltung von Software.
Siemens Teamcenter wird ebenfalls für die Geometrieintegration und nachgelagerte Prozesse genutzt.
Mercedes-Benz hat den gegenteiligen Weg eingeschlagen. Auf der PLM/PDM-Seite stehen Siemens Teamcenter und die proprietäre Produktdatenbank SMARAGD im Mittelpunkt und unterstützen die Entwicklung von mechanischen Komponenten sowie als Daten-Hub für die innovationsgetriebene Fahrzeugentwicklung. Die Investition in Teamcenter unterstreicht die Zurückhaltung des Unternehmens, mehr als ein PDM-System zu betreiben, was der Fall gewesen wäre, wenn man sich 2015 für den Wechsel von CATIA auf Siemens NX entschieden hätte.
BMWs jüngste CATIA-Entscheidung
Wie sollte ein erstklassiges PLM-System für BMW, einen der stärksten Akteure in der Automobilindustrie, aussehen? Der ikonische Fahrzeughersteller arbeitet seit einigen Jahren intensiv daran und hat kürzlich eine interessante Teilerklärung geliefert: Dassault Systèmes’ 3DEXPERIENCE CAD-Anwendung CATIA wird eine wichtige Rolle in der zukünftigen Engineering-Plattform des Unternehmens für die Produktentwicklung spielen.
In einer gemeinsamen Pressemitteilung von BMW und Dassault Systèmes hieß es, dass die zukünftige Engineering-Plattform der BMW Group 3DEXPERIENCE als Kernstück haben wird. Im Wesentlichen werden 17.000 Nutzer weltweit an einem digitalen Zwilling eines Fahrzeugs arbeiten, der in einer Vielzahl von Varianten jedes Modells konfiguriert werden kann, wobei die Daten in Echtzeit verfügbar sind.
Dies könnte mehrere Bedeutungen für die Zukunft der BMW-Fahrzeugentwicklung haben. Eine Interpretation ist, dass BMW weiterhin Dassaults CATIA als Designkomponente seines PLM-Setups mit einer Lösung, die nach dem digitalen Zwillingskonzept aufgebaut ist, nutzen und möglicherweise ausbauen wird. Es ist unklar, ob sie sich für CATIA V5, die neuere V6 oder eine Kombination aus V5 und V6 entscheiden werden.
Aus zukunftsorientierter Sicht ist es jedoch wahrscheinlicher, dass BMW in einen Übergang zur moderneren V6-Plattform investieren wird, was normalerweise auch den Kauf der PLM/PDM-Lösung ENOVIA als V6-Datenbank/Backbone erfordert. Dies würde zu vier kommerziellen Plattformen bei BMW anstelle von drei führen.
CATIA V5 im Einsatz bei BMW. (Bild: Dassault Systèmes.)
Ein Gespräch mit dem Mann hinter dem CAD-Wechsel von Mercedes
Dies ist eine interessante Entscheidung von BMW, insbesondere im Vergleich zum Ansatz von Mercedes-Benz, 2015 sein CAD-System von CATIA auf das Flaggschiff von Siemens Digital Industries Software, NX CAD, umzustellen.
Einer der Hauptgründe für die Umstellung war, dass Mercedes nicht zwei parallele PDM-Systeme betreiben wollte, was der Fall gewesen wäre, wenn sie sich für die Fortführung von CATIA und das Upgrade von der V5- auf die V6-Version entschieden hätten.
Im Zusammenhang mit dem CAD-Systemwechsel von Mercedes-Benz im Jahr 2015 (vor der Ausgliederung von Daimler Truck) führte engineering.com ein Gespräch mit Professor Alfred Katzenbach, damals Direktor IT-Management in der F&E-Abteilung von Mercedes-Benz. Er war für die Vorbereitung und Präsentation des Projekts vor dem Vorstand verantwortlich.
Siemens Teamcenter wurde zuvor als PLM/PDM-Backbone genutzt. Warum also befürworteten Katzenbach und sein Team den Wechsel zu NX? Wie sich herausstellte, war das Homogenitätsproblem bezüglich ihrer grundlegenden PDM-Systeme ein wesentlicher Grund. Katzenbach wies unter anderem auf das Problem der Nutzung und der notwendigen Koordinierung des Datenmanagements zwischen zwei verschiedenen PDM-Systemen hin. Dies war entscheidend. Hätte Mercedes sich für die Fortführung im CATIA-Umfeld und ein Upgrade von der V5- auf die V6-Version entschieden, hätten sie zwei Systeme parallel betreiben müssen: Teamcenter, das sie bereits nutzten, und Dassaults neues ENOVIA V6, das für die Nutzung von CATIA V6 erforderlich war.
“Ein solches Upgrade war schwierig geworden”, sagte Katzenbach. “Schon als wir über den Wechsel von V4 auf V5 nachdachten, konnten wir sehen, dass ein solches Upgrade eher einem Systemwechsel glich. Es war nicht nur ein Versionswechsel. Mit dieser Erfahrung beschlossen wir, uns bei der nächstmöglichen Gelegenheit die strategische Frage zu stellen: ‘Ist dies die beste Option für das Unternehmen?'”
Dr. Alfred Katzenbach, ehemaliger IT-F&E-Direktor von Mercedes Benz. (Bild: PLM&ERP News.)
Mangelnde Unterstützung für anspruchsvolle technische Designprozesse
Von Anfang an plante Katzenbach, bei der vorhandenen Zwei-Anbieter-Lösung mit CATIA von Dassault und Teamcenter von Siemens PLM zu bleiben. Zweifellos hatte eine solche Strategie Vorteile, sowohl aus Risikomanagement- als auch aus Kostensicht.
Warum entschied sich der ehemalige IT-Leiter von Mercedes F&E dann für die Ein-Anbieter-Lösung?
“In dieser Diskussion wurde uns klar, dass ENOVIA V6 in seiner damaligen Form die anspruchsvollen technischen Prozesse, die wir bei Daimler (damals Teil von Mercedes) haben, nicht unterstützen würde”, sagte Katzenbach. “Außerdem, wenn wir uns für CATIA V6 entschieden hätten, wäre ENOVIA V6 zwingend erforderlich gewesen. Wir hätten zwei PLM-PDM-Systeme (Teamcenter und ENOVIA) parallel betreiben müssen, was doppelt so viel Geld gekostet hätte.”
Neben CATIA setzt BMW im CAD-Bereich auf Autodesk ALIAS
Für BMW, das früher mehrere PDM-Systeme verwaltete, liefen die Ereignisse jedoch anders, und das Unternehmen entschied sich kürzlich für Dassault Systèmes und CATIA. Vermutlich wird es eine Weile im V5-Umfeld bleiben, aber wenn es in Zukunft zu V6 oder V7 übergehen möchte, wird die ENOVIA-App auf der 3DEXPERIENCE-Plattform erforderlich sein und ein weiteres System zur Verwaltung hinzufügen.
Im CAD-Bereich setzt BMW zudem Autodesk ALIAS für die Styling-Prozesse ein.
Doch wie sah die Systemaufschlüsselung von BMW im Allgemeinen aus? Wir haben die Angelegenheit Domäne für Domäne genauer betrachtet.
Simulation & Analyse
BMW setzt eine Vielzahl aktueller S&A-Software ein, darunter Angebote von Ansys, Siemens Digital Industries Software, Dassault Systèmes, BETA, Altair, Hexagon und MathWorks. Hier listen wir jedoch nur Lösungen von den größten Anbietern (ISVs) auf:
- ANSYS, einschließlich LS Dyna
- Siemens’ StarCCM+
- Dassault Systèmes’ DS Powerflow, DS Simpack und DS Abaqus
- BetaCAEs ANSA
- Altair Hyperworks
- Hexagons MSC Nastran und MSC SimManager
- MathWorks’ MATLAB und Simulink
Anforderungssysteme
Im Bereich Anforderungsmanagement setzt BMW hauptsächlich auf PTCs Codebeamer, während IBM Doors kurz vor der Ablösung steht. Auch das proprietäre ZAK-System steht kurz vor der Ablösung, und Codebeamer wird die Hauptrolle übernehmen. Diese Lösung kann die vollständigen Fahrzeuganforderungen verwalten. IBM Doors wurde für Antriebsstranganforderungen verwendet.
Model-Based System Engineering (MBSE)
In diesem Bereich steht erneut eine PTC-Lösung im Fokus: PTCs Integrity Modeler. BMW hat auch mit proprietären Lösungen wie EESML (Magic Draw) und Wirkkettentool gearbeitet.
ALM, Application Lifecycle Management
Zu den aktuellen Hauptlösungen im Jahr 2023 gehörten unter anderem IBMs Rational Suite, Atlassian Jira/Confluence, Teamscale, CodeSonar und Github. Proprietäre Plattformen sind ASCENT und CodeCraft.
Elektro/Elektronik
Ein spannendes Feld angesichts der umfassenden Elektrifizierung des Fahrzeugbestands und der explosionsartig wachsenden Bedeutung von Elektronik im Allgemeinen. Hier hat sich BMW entschieden, auf bekannte Software von Vector, Zuken, LDRA, Matlab, Autosat, Polyspace und Octane zu setzen.
Digital Manufacturing
Dies umfasst Bereiche wie digitale Zwillinge, Bills of Process (BOP) und Fertigungsstücklisten. Eingesetzte Software sind unter anderem Siemens Teamcenter/Tecnomatix-Lösungen wie Process Simulate und Plant Simulation. Eine PTC-Lösung ist erneut im Arsenal mit der Windchill Navigate-Lösung sowie Dassault Systèmes’ DELMIA-App vertreten.
Ein interessanter neuer Akteur hier ist NVIDIA Omniverse, das für die Konfiguration und Simulation digitaler Fabriken eingesetzt wird. Diese Software spielte eine große Rolle in der über einige Jahre in Ungarn entwickelten digitalen Fabrik für die Produktion von Elektroautos. Die Fabrik ist physisch noch nicht fertig, existiert aber als vollständiges digitales Modell.
Manufacturing Execution Systems (MES)
Innerhalb von MES gehören IPS-L, IPS-C, IPS-Q, IPS-I und AIQX zu den verwendeten Softwaresystemen.
After-Sales Services PLM
Grundsätzlich wird hier eine Reihe proprietärer Lösungen eingesetzt. SAPs IPPE hat jedoch mit einer neuen Initiative, iFactory Shopfloor Digital, für Modernität gesorgt.
