Im Jangtse-Delta, etwa 160 Kilometer südwestlich von Shanghai, verbirgt sich ein faszinierendes Zeugnis chinesischer Geschichte: die archäologischen Ruinen der Stadt Liangzhu, oft als “Venedig der Steinzeit” bezeichnet. Vor rund 5300 Jahren erblühte hier eine hoch entwickelte Chinesische Hochkultur, die als einer der frühesten Belege für monumentale Wasserkultur gilt.
Die ältesten Nachweise für große Wasserbauanlagen in China stammen aus dieser Kulturstätte des späten Neolithikums. Die ummauerte Stadt verfügte über ein komplexes System aus schiffbaren Kanälen, Dämmen und Wasserreservoirs. Dieses ausgeklügelte System ermöglichte eine ganzjährige Bewirtschaftung großer landwirtschaftlicher Nutzflächen. In der Zivilisationsgeschichte des Menschen stellt dies eines der ersten Beispiele für ein hochentwickeltes Gemeinwesen dar, das auf einer ausgefeilten Wasserinfrastruktur basierte. Interessanterweise waren Metalle in dieser Kultur noch unbekannt.
Jade Artefakte aus der Liangzhu Kultur
Bei Ausgrabungen wurden tausende kunstvoll gearbeitete Grabbeigaben aus Jade gefunden. Lange Zeit unentdeckt und in seiner historischen Bedeutung unterschätzt, gilt die archäologische Stätte heute als ein gut erhaltener Beleg für die mehr als 5000 Jahre alte chinesische Hochkultur. Liangzhu wurde 2019 zum UNESCO-Welterbe erklärt. Doch die Blütezeit dieser fast 1000 Jahre lang bewohnten Stadt nahm ein abruptes Ende. Was die Ursache dafür war, ist bis heute umstritten.
Die Suche nach den Ursachen des Untergangs
“Auf den erhaltenen Überresten wurde eine dünne Lehmschicht nachgewiesen, die auf einen möglichen Zusammenhang des Untergangs der Hochkultur mit Überschwemmungen des Jangtse oder Fluten vom Ostchinesischen Meer hinweist. Für menschliche Ursachen wie etwa kriegerische Auseinandersetzungen konnten keine Hinweise gefunden werden”, erklärt Christoph Spötl, Leiter der Arbeitsgruppe für Quartärforschung am Institut für Geologie. “Aus der Schlammschicht selbst sind allerdings keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Ursache möglich.”
Um das Rätsel zu lösen, wandten sich Forscher einer anderen Quelle zu: Tropfsteinen.
Tropfsteine als Klimaarchive: Ein Blick in die Vergangenheit
Höhlen und die Ablagerungen in ihrem Inneren, wie Tropfsteine, zählen zu den wichtigsten Klimaarchiven, die uns zur Verfügung stehen. Sie erlauben die Rekonstruktion der klimatischen Verhältnisse oberhalb der Höhlen bis zu mehrere 100.000 Jahre in die Vergangenheit. Da bis heute nicht geklärt ist, worin der plötzliche Zusammenbruch der chinesischen Hochkultur von Liangzhu begründet liegt, suchte ein Forscherteam nach einem passenden Höhlenarchiv, um eine mögliche klimatische Ursache dieses Niedergangs zu erforschen.
Der Geologe Haiwei Zhang von der Xi’an Jiaotong Universität in Xi’an, der 2017 für ein Jahr an der Universität Innsbruck als Gastwissenschaftler weilte, entnahm aus den beiden südwestlich der Ausgrabungsstätte liegenden Höhlen Shennong und Jiulong Proben von Stalagmiten. “Diese Höhlen sind bereits seit Jahren gut erforscht. Sie befinden sich im gleichen Einflussgebiet des südostasiatischen Monsuns wie das Jangtse-Delta und erlauben uns mit ihren Tropfsteinen einen exakten Blick in die Zeit des Zusammenbruchs der Liangzhu-Kultur, der nach archäologischen Befunden etwa 4300 Jahre vor heute passierte”, verdeutlicht Spötl.
Die Analyse der Tropfsteine lieferte entscheidende Erkenntnisse.
Monsunregen als Ursache für den Untergang?
Die Daten der Tropfsteine zeigen nun, dass zwischen 4345 und 4324 Jahren vor heute eine extrem niederschlagsreiche Klimaphase auftrat. Dies konnte anhand der Isotopenwerte des Kohlenstoffstoffs nachgewiesen werden, die an der Universität Innsbruck gemessen wurden. Die präzise zeitliche Einstufung erfolgte durch Uran-Thorium-Analysen an der Xi’an Jiaotong Universität, deren Messgenauigkeit ± 30 Jahre beträgt. “Das ist in Anbetracht der zeitlichen Dimension erstaunlich präzise”, so der Geologe.
Die Ergebnisse legen nahe, dass massive Monsunregen zu extremen Überflutungen des Jangtse und seiner Nebenflüsse führten. Diese Wassermassen überstiegen wahrscheinlich die Kapazität der hochentwickelten Dämme und Kanäle von Liangzhu, was zur Zerstörung der Stadt und zur Flucht ihrer Bewohner führte. Die feuchten Klimabedingungen blieben mit Unterbrechungen weitere 300 Jahre bestehen, wie die Geologen anhand der Höhlendaten zeigen.
Obwohl die genauen Ursachen für den Untergang der chinesischen Hochkultur von Liangzhu weiterhin diskutiert werden, liefern die Forschungsergebnisse wichtige Hinweise auf die Bedeutung des Klimas und seiner Auswirkungen auf frühe Zivilisationen. Die Geschichte von Liangzhu ist ein faszinierendes Beispiel für die Innovationskraft und die Anfälligkeit menschlicher Gesellschaften in der Vergangenheit. Die archäologischen Funde und die wissenschaftlichen Erkenntnisse tragen dazu bei, unser Verständnis der frühen chinesischen Hochkultur und ihrer Entwicklung zu vertiefen.