Seit meiner ersten Begegnung mit Judith Hermanns Werken bin ich ein großer Fan ihrer einzigartigen Erzählstimme, auch wenn ihr Stil nicht jedem zusagt. Besonders ihr Roman „Alice“ hat mich vor vielen Jahren im Rahmen des Independent Foreign Fiction Prize tief beeindruckt. Daher verfolge ich stets gespannt ihre Neuerscheinungen. Als die Taschenbuchausgabe ihres jüngsten Werkes, der Daheim Roman, erhältlich wurde, sicherte ich mir sofort ein Exemplar. Nach einer ersten Lektüre vor einigen Monaten habe ich mir bewusst Zeit für eine erneute Auseinandersetzung genommen, um diese Rezension im Rahmen des „German Literature Month“ zu verfassen. Es ist ein faszinierender Roman, der unverkennbar Hermanns Handschrift trägt und uns auf eine ruhige, eindringliche Weise in die ländliche Weite Deutschlands entführt.
Ein Neuanfang an der deutschen Küste: Die Protagonistin und ihr „Daheim“
„Daheim“ entführt uns in das Leben einer namenlosen Protagonistin, einer Frau um die fünfzig, die sich an einem unbekannten Ort an der deutschen Nordseeküste wiederfindet. Nach ihrer Scheidung und mit einer Tochter, die die Welt bereist, hat sie sich selbst treiben lassen und ist in einem kleinen Dorf gelandet. Dort arbeitet sie in der saisonalen Bar ihres älteren Bruders, wann immer dieser sich dazu aufraffen kann.
Sie ist eine Stadtbewohnerin ohne feste Bindungen und Wurzeln, die sich nun in einer völlig anderen Umgebung zurechtfinden muss. Langsam beginnt sie, neue Menschen kennenzulernen und sich an den entschleunigten Rhythmus ihres Lebensabschnitts anzupassen. Anfangs scheint eine gewisse Apathie oder Gleichgültigkeit ihre Tage zu prägen, doch das soll sich bald ändern. Denn selbst wenn alles verloren scheint, gibt es immer die Möglichkeit eines Neuanfangs – man muss nur bereit sein, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen, wenn sie sich bietet. Judith Hermann gelingt es meisterhaft, die feinen Nuancen dieses Übergangs einzufangen und die psychologische Tiefe ihrer Figur auszuloten.
Eine Nahaufnahme des Covers von Judith Hermanns Roman "Daheim" mit einem minimalistischen Design in dunklen Tönen, das die melancholische und introspektive Stimmung des Buches einfängt.
Zwischen Einsamkeit und aufkeimender Verbindung: Begegnungen in der neuen Heimat
Hermann gehört zu jenen Schriftstellerinnen, deren Figuren mit ihren Autorinnen zu altern scheinen. Die Charaktere in „Daheim“ sind weit entfernt von den zwanzigjährigen Träumern und Liebenden aus „Sommerhaus, später“. Hier begegnet uns eine Frau, die glaubt, ihre besten Tage lägen hinter ihr. Es ist ein Neubeginn an einem unbekannten Ort, doch nach einer langjährigen Beziehung erwartet sie keine größeren Wendungen mehr in ihrem Leben.
Dass es anders kommt, verdankt sie dem Einfluss des örtlichen Geschwisterpaares Mimi und Arild. Mimi, voller Energie, reißt die Neuankömmlingin mit sich, bevor diese es überhaupt bemerkt. Aus nacktem Schwimmen im Meer und langen Abenden bei einer Flasche Wein entwickelt sich eine Freundschaft, die die Protagonistin fast überrascht. Durch Mimi lernt sie Arild kennen, einen wortkargen, etwas unnahbaren Bauern. Obwohl sie seine Fehler erkennt, fühlt sich die Erzählerin von seiner Stärke, seiner Erdverbundenheit und seiner unkomplizierten Art angezogen. Die behutsame Entwicklung dieser Beziehungen ist ein Kernstück des Romans „Daheim“, der die Zerrissenheit zwischen Autonomie und Zugehörigkeit meisterhaft darstellt.
Der erste Teil des Buches handelt davon, wie die Frau sich mit ihrem neuen Leben arrangiert. Zunächst genießt sie das Gefühl der Einsamkeit, allein zu leben, ohne die Gefühle anderer berücksichtigen zu müssen. Doch ihre Sichtweise verschiebt sich allmählich in diesem isolierten Klima, besonders als sie eines stürmischen Morgens ihre Haustür weit offen vorfindet:
Ich begann, mich zu fürchten. Oder anders – von dieser Nacht an hatte ich einen gewissen Respekt, von dem ich dachte, er wäre der Preis für das Alleinesein. (p.29, Fischer Verlag, 2022)
Vielleicht ist es diese aufkeimende Nervosität, die sie reif für das Folgende macht: die beinahe absurd schnelle Entwicklung ihrer Beziehung zu Arild und die Leichtigkeit, mit der sie sich in dessen Familie einfügt. Diese Passagen sind essenziell, um die Suche nach einem wahren “Daheim” zu verstehen.
Die Echoes der Vergangenheit: Was bleibt, wenn man das Alte hinter sich lässt
Während Judith Hermann die Gegenwart der Frau beschreibt, vernachlässigt sie niemals ihre Vergangenheit. „Daheim“ blickt immer wieder auf das Leben der Erzählerin zurück, bevor sie in das Dorf zog. Wir erfahren von ihrer Beziehung zu ihrem Ex-Mann Otis und einer eher bizarren Geschichte aus ihrer Jugend, die den Roman eröffnet und viel über ihren Charakter – und wie risikobereit sie (nicht) ist – verrät. Es besteht kein Zweifel, dass dies eine besonnene Frau ist, die weiß, dass ihre wilden Tage hinter ihr liegen:
Er wollte. dass ich wusste, wie schön Mimi einmal gewesen war. Damals. Er sagte, sie hatte eine wirklich tolle Figur. Diese prächtigen dicken Haare. Sie sah wirklich ausgesprochen gut aus. Ich sagte, das taten wir alle. (p.39)
Und doch wird sie in ihrer Beziehung zu Arild daran erinnert, dass es nie zu spät ist und dass Glück an den unwahrscheinlichsten Orten gefunden werden kann. Die subtile Verknüpfung von Erinnerungen und Gegenwart zeichnet diesen daheim roman aus und verleiht ihm eine besondere Tiefe.
Stille und Einfachheit: Die Atmosphäre des Romans „Daheim“
Im Großen und Ganzen ist „Daheim“ eher karg und schlicht, ein Buch aus lose verbundenen Szenen, die das Leben der Protagonistin im Laufe eines Jahres begleiten. Die Einfachheit erstreckt sich auf das alte Haus, in dem sie lebt, die karge Landschaft und Arilds eher spartanischen Lebensstil. Der Schwerpunkt liegt hier auf dem Wesentlichen, auf dem, was man zum Überleben braucht. Der Kontrast zu Otis, einem Prepper, der alles hortet, was er für die bevorstehende Apokalypse finden kann, ist dabei deutlich und beinahe verblüffend.
Der Roman erzeugt beim Leser ein Gefühl der Ruhe und Gelassenheit. „Daheim“ ist ein entspannendes Buch, das unaufgeregt und in seinem eigenen Tempo erzählt wird. Der Leser wird, ebenso wie die Erzählerin, dazu ermutigt, es ruhig angehen zu lassen:
Ich versuche, auf acht Stunden Schlaf zu kommen, ich nehme mir die Zeit, meinen Tee im Bett zu trinken, bevor ich in den Tag gehe. Ich arbeite, koch mir etwas zu essen, lese mein Buch. Es wird langsam warm hier, und bei Flut gehe ich manchmal schwimmen. Wenn ich das einrichten kann. Ich fahre mit dem Rad zur Arbeit und mit dem Rad zurück ins Haus. (p.60)
Ein Roman ohne große Dramatik, aber von tiefer Resonanz
Diese Erzählweise bedeutet, dass es keine ausgeprägte Handlung im traditionellen Sinne gibt. Wer also nach einem rasanten Plot sucht, sollte Judith Hermanns Buch vielleicht meiden. Selbst wenn etwas geschieht, passiert es einfach – es führt nicht unbedingt zu großen Wendungen oder beeinflusst die Richtung der Geschichte maßgeblich. Vielmehr sind es die kleinen Beobachtungen und die innere Entwicklung der Protagonistin, die den Reiz dieses daheim roman ausmachen.
Ich bin mir nicht sicher, ob eine englische Übersetzung geplant ist, und ich bin auch nicht davon überzeugt, dass dieser Roman für jeden geeignet ist. Doch selbst bei der zweiten Lektüre habe ich „Daheim“ sehr genossen. Es ist die einfache Geschichte einer Frau, die Liebe und einen zweiten Lebensabschnitt findet, ohne wirklich danach zu suchen (oder sich darüber übermäßig zu freuen). Ich würde Hermann nicht zu meinen absoluten Lieblingsautorinnen der deutschen Literatur zählen, aber es gibt genug hier, um mich nach ihrem nächsten Werk Ausschau halten zu lassen. Wenn Sie ihre früheren Arbeiten, wie zum Beispiel „Aller Liebe Anfang“, mochten, ist dieser daheim roman definitiv einen Versuch wert.
Fazit: Judith Hermanns „Daheim“ – Eine Hommage an die stille Stärke
Judith Hermanns Roman „Daheim“ ist mehr als nur eine Erzählung über einen geografischen Neuanfang. Er ist eine tiefgründige Erkundung des menschlichen Geistes, der Fähigkeit zur Anpassung und der unerwarteten Wege, die das Glück nehmen kann. Die karge norddeutsche Landschaft dient dabei als metaphorischer Spiegel für die innere Leere, die sich allmählich mit neuen Erfahrungen füllt. Wer sich auf die ruhige, beobachtende Art Hermanns einlässt, wird mit einem vielschichtigen Porträt einer Frau belohnt, die sich selbst und ihre eigene Definition von “Daheim” neu entdeckt.
Tauchen Sie ein in die stille Poesie dieses daheim roman und lassen Sie sich von Judith Hermanns einzigartiger Sprache verzaubern. Entdecken Sie, wie ein Ort zu einer wahren Heimat werden kann – nicht nur äußerlich, sondern auch im Herzen.
