Darmbakterien: Ein unerwarteter Faktor für Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko

Ein Mikroskopbild von Bakterien im Darm.

Das menschliche Mikrobiom, die Gemeinschaft von Billionen von Bakterien, die unseren Darm besiedeln, spielt eine entscheidende Rolle für unsere Gesundheit. Neue Forschungen von Wissenschaftlern der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Berliner Instituts für Gesundheitsforschung / Berlin Institute of Health (BIH) in Zusammenarbeit mit der Cleveland Clinic in den USA haben gezeigt, dass bestimmte Stoffwechselprodukte dieser Darmbakterien das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle signifikant erhöhen können. Diese Erkenntnisse sind besonders relevant für Patienten, die bereits einen Schlaganfall erlitten haben, und eröffnen neue Wege für die Prävention kardiovaskulärer Ereignisse.

Die Bedeutung eines gesunden Darmmikrobioms für das allgemeine Wohlbefinden ist mittlerweile gut etabliert. Doch die detaillierten Mechanismen, wie die Bakterien im Darm mit dem Herz-Kreislauf-System interagieren, sind noch Gegenstand intensiver Forschung. Die aktuelle Studie konzentriert sich auf ein spezifisches Stoffwechselprodukt namens Trimethylaminoxid (TMAO), das von Darmbakterien aus bestimmten Nahrungsmittelbestandteilen produziert wird.

Erhöhtes Risiko durch TMAO: Die Rolle des Mikrobioms

Jährlich erleiden allein in Berlin rund 10.000 Menschen einen Herzinfarkt, bundesweit sind es etwa 280.000 Fälle, wovon rund 50.000 tödlich enden. Bekannte Risikofaktoren wie Bluthochdruck, hohe Cholesterinwerte, Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel und familiäre Vorbelastung sind gut erforscht. Neuere Untersuchungen rücken jedoch das Mikrobiom, also die Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm, stärker in den Fokus.

Professor Ulf Landmesser von der Charité und seine Kollegen untersuchten in Studien mit über 600 Patienten, die kürzlich einen Schlaganfall erlitten hatten, die Konzentration von TMAO im Blut. Sie stellten fest, dass Patienten mit hohen TMAO-Werten ein zwei- bis fünffach höheres Risiko für einen erneuten Herzinfarkt oder Schlaganfall aufwiesen als jene mit niedrigen Konzentrationen. TMAO scheint die Endothelzellen, die innere Auskleidung der Blutgefäße, zu stimulieren. Dies fördert die Blutgerinnung und Entzündungen in den Gefäßen, was wiederum Entzündungszellen wie Monozyten anzieht. Diese können die Entstehung von Atherosklerose (Arterienverkalkung) und Thrombosen begünstigen.

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Ein Mikroskopbild von Bakterien im Darm.Ein Mikroskopbild von Bakterien im Darm.

Die Erkenntnis, dass Entzündungen eine Rolle bei Arteriosklerose spielen, ist nicht neu und geht auf Rudolf Virchow zurück, der dies bereits vor über 160 Jahren beschrieb. Die Verbindung zwischen Mikrobiom und kardiovaskulären Ereignissen eröffnet jedoch innovative präventive Strategien.

Neue Wege in der Prävention und Behandlung

Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wurde ein internationales Forschungsnetzwerk gegründet, um Substanzen zu identifizieren, die die Produktion schädlicher Metaboliten durch Darmbakterien hemmen können. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass er das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall senken könnte, ohne – im Gegensatz zu herkömmlichen gerinnungshemmenden Medikamenten – das Blutungsrisiko zu erhöhen. Dies stellt eine besonders elegante Methode zur Risikoreduktion dar.

Professor Landmesser plant, die Ergebnisse bereits in den nächsten drei Jahren in klinischen Studien zu testen. Darüber hinaus wurden weitere interessante Metaboliten im Mikrobiom entdeckt, die den Cholesterinstoffwechsel positiv beeinflussen könnten. Die Verabreichung solcher Bakterien-Metaboliten als Nahrungsergänzungsmittel wäre eine vielversprechende Möglichkeit zur Senkung des Herzinfarktrisikos. Es ist daher wichtig zu erkennen, dass nicht alle Darmbakterien schädlich sind. Unser Darm beherbergt mehr Bakterien als wir Körperzellen haben, und viele von ihnen leisten wichtige Beiträge zu unserer Gesundheit. Die Erforschung und Nutzung dieser positiven Effekte für präventive Ansätze ist ein spannendes Feld.

Die Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Darmbakterien und Herzgesundheit ist ein dynamisches Feld. Neben TMAO gibt es Hinweise darauf, dass auch andere mikrobiell produzierte Metaboliten wie kurzkettige Fettsäuren (z.B. Butyrat) positive Effekte auf die Gefäßgesundheit haben können. Eine ausgewogene Ernährung, reich an Ballaststoffen, kann die Produktion solcher nützlicher Bakterien fördern und somit zu einer gesünderen Darmflora beitragen. Dies unterstreicht die Bedeutung einer darmfreundlichen Ernährung als Teil einer umfassenden Strategie zur Herz-Kreislauf-Prävention.

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Fazit: Ein ganzheitlicher Blick auf die Darmgesundheit

Die Forschungsergebnisse verdeutlichen, dass die Gesundheit unseres Darmes weit mehr als nur die Verdauung beeinflusst. Das komplexe Zusammenspiel zwischen unserem Mikrobiom und unserem Herz-Kreislauf-System bietet neue und spannende Möglichkeiten zur Prävention und Behandlung von Herzerkrankungen. Durch das Verständnis und die gezielte Beeinflussung unserer Darmbakterien können wir möglicherweise zukünftig das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle auf innovative Weise reduzieren und unsere allgemeine Gesundheit verbessern. Die kontinuierliche Erforschung dieses faszinierenden Ökosystems in unserem Körper verspricht weitere Durchbrüche für die Medizin.

Quellen:
Haghikia A, et al. Gut Microbiota-Dependent Trimethylamine N-Oxide Predicts Risk of Cardiovascular Events in Patients With Stroke and Is Related to Proinflammatory Monocytes. Arterioscler Thromb Vasc Biol. 2018 Jul 5.
BIH Presseinformation: https://www.bihealth.org/de/aktuell/?L=0&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bnews%5D=1836&cHash=3e4b0cd951143b36fb784f0581c0674d
Ulf Landmesser ist Principle Investigator am Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung e.V. (DZHK) | Standort Berlin.