Der Moderne Fünfkampf steht vor einer tiefgreifenden Transformation. Nach den Olympischen Spielen 2024 in Paris wird die Disziplin des Reitens durch „Obstacle“, einen Hindernislauf, ersetzt. Diese Entscheidung, getroffen vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC), markiert einen Wendepunkt für den Sport, der seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil des olympischen Programms ist. Für Athleten wie Cicelle und Tim Leh aus Potsdam bedeutet dies eine Neubewertung ihrer Trainingspläne und eine unsichere, aber auch hoffnungsvolle Zukunft.
Fünfkämpferin Cicelle Leh beim Obstacle-Training und während Springreiten bei den European Games 2023 (Bild: rbb/Lynn Kraemer; Imago/Newspix | Collage: rbb)
Cicelle Leh demonstriert eindrucksvoll die neue Herausforderung. Mit kraftvollen Bewegungen greift sie nach den baumelnden Ringen, schwingt sich vorwärts und hangelt sich von einem zum nächsten. Die acht Ringe, Teil eines anspruchsvollen Hindernisparcours, sind nicht nur physische Hürden, sondern auch Symbole ihrer Hoffnung auf die Olympischen Ringe. Gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder Tim bereitet sie sich auf die veränderte Disziplinenlandschaft vor: Fechten, Schwimmen, Laser-Run und nun der Hindernislauf ersetzen das traditionelle Reiten.
Das neue „Obstacle“: Eine Herausforderung für Athleten
Der Hindernislauf „Obstacle“ ist eine dynamische Disziplin, die Schnelligkeit, Kraft, Koordination und mentale Stärke vereint. Athleten müssen auf einer Strecke von 60 bis 70 Metern insgesamt acht Hindernisse überwinden. Davon sind sechs fest installiert, während zwei Elemente je nach Wettkampf variieren können. Ein Fehler bei der Bewältigung eines Hindernisses darf einmal wiederholt werden. Bei einem zweiten Fehler an demselben Element ist der Wettkampf für den Athleten beendet. Die erzielte Zeit bestimmt die Punktzahl, wobei eine schnellere Absolvierung mehr Punkte einbringt.
Fünfkämpfer Pele Uibel läuft bei der Weltmeisterschaft 2023 (Bild: UIPM World Pentathlon/Nuno Gonçalves)
Die Einführung von „Obstacle“ als Ersatz für das Reiten ist eine direkte Reaktion auf die Ereignisse bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio. Die deutsche Fünfkämpferin Annika Schleu sah sich mit einem nervösen Pferd konfrontiert, das den Parcours verweigerte. Schleus emotionaler und umstrittener Versuch, das Pferd mit der Gerte zum Weiterreiten zu bewegen, löste eine weltweite Debatte über Tierschutz im Sport aus. Infolgedessen wurde der Moderne Fünfkampf vorübergehend nicht für die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles nominiert.
Erleichterung und Anpassung: Der Weg in die Zukunft
Die Entscheidung des IOC, den Modernen Fünfkampf doch wieder ins Programm für Los Angeles 2028 aufzunehmen, sorgte für große Erleichterung bei den Athleten. Tim Leh beschreibt die vorherige Unsicherheit: „Wir haben unsere ganze Energie und unser Geld in etwas reingesteckt, von dem wir nicht wussten, ob es morgen noch genauso ist.“ Seine Schwester Cicelle fügt hinzu: „Ich war schon erleichtert. Wenn man das seit neun Jahren macht und dann gesagt wird, ‘ihr könnt sonst aufhören’, ist das hart.“ Die Aufnahme des „Obstacle“-Laufs war eine klare Bedingung für die Fortsetzung des Sportprogramms und die damit verbundene olympische Sportförderung.
Für die deutschen Profis ist die Umstellung eine bedeutende Anpassung. Während die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris noch im Zeichen des Reitens steht, beginnen jüngere Athleten und Junioren bereits, sich auf „Obstacle“ zu konzentrieren. Patrick Dogue, Athletensprecher und Teilnehmer an seinen dritten Olympischen Spielen, betont die Notwendigkeit, sich zunächst auf Paris zu fokussieren, sieht aber auch die Chancen der neuen Disziplin. „Wenn es nicht ist, dann ist es nicht. Und wenn es klappt, dann bin ich auch nicht traurig.“
Pele Uibel, der jüngste Fünfkämpfer im Kader, blickt ebenfalls optimistisch auf die neue Herausforderung und die Möglichkeit, bis 2028 im olympischen Sport aktiv zu sein. Er erwartet Unterstützung bei der Einarbeitung in die neue Disziplin.
Die Jugend als Vorreiter im „Obstacle“-Training
Die jüngere Generation, wie die Zwillinge Leh, hat bereits begonnen, den Hindernislauf in ihren Trainingsalltag zu integrieren. Bei den Junioren wurde „Obstacle“ bereits in Wettkämpfen eingeführt. Josefine Unterberger sicherte sich beispielsweise bei der Junioren-Weltmeisterschaft den Titel, maßgeblich durch ihre zweitschnellste Zeit im Hindernislauf.
Die Umstellung war für Trainer und Athleten gleichermaßen eine Lernkurve. „Als die Umstellung kam, mussten sich unsere Trainer alles selbst beibringen, weil niemand auf diese Sportart spezialisiert ist. Wir lernen mit unseren Trainern zusammen“, erklärt Tim Leh. Anfangs stellten die Hindernisse eine überraschende Herausforderung dar. „Das erste Mal war schon ein Realitycheck, weil man sich dachte: Das kann ja gar nicht so schwer sein. Und dann hat man sich an die Ringe rangehangen, dachte es geht auch gut mit einer Hand und lag schnell auf dem Boden.“ Insbesondere die Höhe der Hindernisse erforderte anfangs mentale Überwindung.
Aufgrund der hohen Anschaffungskosten für professionelle „Obstacle“-Anlagen, die sich im sechsstelligen Bereich bewegen, sind die Verbände bei der Ausstattung zurückhaltend. Bisher existiert eine Anlage in Nürnberg. Durch die gesicherte olympische Förderung sind jedoch zwei weitere Anlagen an den Stützpunkten in Bonn und Berlin geplant, um die Ausbildung der nächsten Generation von Fünfkämpfern zu gewährleisten.
Ein Abschied vom Pferd, eine neue Ära für den Fünfkampf
Die Zukunft des Modernen Fünfkampfs wird neu gestaltet. Jan Veder, Vizepräsident des deutschen Verbands, sieht darin eine Chance für mehr Ressourceneffizienz und Zugänglichkeit für Anfänger. Gleichzeitig muss sich der Verband vom Reitsport verabschieden. Am Bundesstützpunkt in Berlin werden die vier verbliebenen Pferde bis zu den Spielen 2024 genutzt. Athleten wie Patrick Dogue und Pele Uibel erwägen, auch nach ihrer Karriere weiterhin privat zu reiten, um ihre Verbindung zu den Tieren und zum Reitsport aufrechtzuerhalten.
Der Übergang vom Reiten zum Hindernislauf markiert einen bedeutenden Schritt für den Modernen Fünfkampf. Diese Veränderung verspricht, den Sport dynamischer, telegener und auf die Leistung des Athleten selbst fokussierter zu gestalten und sichert somit seine olympische Zukunft.