Germanische Kultur: Ursprünge, Gesellschaft und Vermächtnis

Zeichnung: Germanen verschiedener Stämme

Die Vorstellung eines einheitlichen germanischen Volkes ist eine romantische Verklärung der Geschichte. Tatsächlich handelte es sich bei den Germanen um einen Sammelbegriff für verschiedene Stämme, die in einem weitläufigen Gebiet zwischen Rhein, Donau und Weichsel siedelten. Diese Stämme teilten zwar kulturelle Gemeinsamkeiten, bildeten aber keinen geeinten Staat und hegten oft Feindschaften untereinander.

In der Zeit der griechischen und römischen Hochkulturen existierte im Mittelmeerraum nur wenig Wissen über die Völker des Nordens. Sie wurden lange Zeit pauschal als “Barbaren” abgetan – als Menschen, die keine griechisch-römische Bildung genossen hatten. Erst um 80 v. Chr. taucht der Begriff “Germanen” beim griechischen Geschichtsschreiber Poseidonios auf. Verbreitet wurde der Begriff dann durch Gaius Julius Cäsar (100 bis 44 v. Chr.) in seinem Werk “De bello gallico”.

Seit dieser Zeit hatten die Römer vielfältige Kontakte zu den germanischen Stämmen, die zumeist kriegerischer Natur waren. Der Begriff “Germanen” entstammt nicht den Menschen, die damit bezeichnet wurden. Diese definierten ihre Identität primär über ihre Stammes- oder Volksgemeinschaften.

Zeichnung: Germanen verschiedener StämmeZeichnung: Germanen verschiedener Stämme

Die Völker und Stämme der Germanen waren keine Einheit.

Die germanische Gesellschaftsordnung

Die Siedlungs- und Gesellschaftsstruktur der verschiedenen germanischen Stämme ähnelte sich stark. Die Familie bildete den Kern der germanischen Gesellschaft. Ihr gegenüber waren alle Mitglieder zu unbedingter Loyalität verpflichtet. Das Oberhaupt hatte die Aufgabe, die gesamte Familie zu schützen, einschließlich der Unfreien, Knechte und Mägde.

Alle Blutsverwandten zählten zu einer Sippe. Gemeinsam siedelte man in einer Dorfgemeinschaft und kämpfte im Krieg als geschlossener Verband. Bei Streitigkeiten hatten die Sippen das Recht, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Wurde ein Mitglied einer Sippe angegriffen, stand die gesamte Sippe zur Verteidigung bereit.

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Ein germanisches Gehöft im Freilichtmuseum OerlinghausenEin germanisches Gehöft im Freilichtmuseum Oerlinghausen

Germanisches Gehöft um Christi Geburt

Alle freien und wehrfähigen Männer einer Stammesgemeinschaft bildeten den sogenannten Thing, der als Stammesversammlung das Oberhaupt wählte. Ebenso schnell konnte ein Oberhaupt auch wieder abgesetzt werden, wenn es seine Pflichten im Sinne der Gemeinschaft nicht erfüllte. Das Oberhaupt war eher ein Stammeshäuptling als ein König oder Konsul, wie es bei Römern und Griechen üblich war. Erst als sich die Auseinandersetzungen mit den Römern häuften, begannen die Germanen, ihre Oberhäupter als Könige zu bezeichnen.

Während des Things, der meist im Freien an heiligen Stätten stattfand, galten strikte Regeln. Die Versammlung war den Göttern geweiht, eine Störung beleidigte diese und wurde von den Priestern hart bestraft. Jedes Mitglied des Rates hatte eine Stimme. Doch es wurde nicht nur über Krieg und Frieden entschieden. In der Vollversammlung wurde auch Gericht gehalten oder über die Aufnahme neuer Mitglieder in den Thing abgestimmt. So konnte ein Unfreier, der im Kampf zu Ruhm und Ehre gekommen war, den Status eines freien Mitgliedes des Things erlangen. Mehr über die Einflüsse auf die heutige Gesellschaft findest du unter [kulturtheorien im überblick](https://shocknaue.com/kulturtheorien-im-uberblick/).

Varusschlacht und Stammesfehden: Zerrissenheit als Schicksal

Die relativ kleinen Gruppen der Stämme empfanden sich jeweils als selbständige Einheit. Den Germanen gelang es deshalb nur selten, mehrere Stämme für ein Ziel zu vereinen. Genau dies hatten die Römer frühzeitig erkannt und machten es sich zunutze. Sie schlossen Bündnisse mit verschiedenen Stämmen und spielten die Germanen gegeneinander aus. Die Römer nutzten also die Uneinigkeit der germanischen Kultur.

Untypisch für germanisches Verhalten ist deshalb der sogenannte Arminius-Aufstand im Jahre 9 n. Chr. Dem Cherusker Arminius war es während des Aufstandes gelungen, zerstrittene Stämme, die immer wieder untereinander Streitigkeiten austrugen, unter seiner Führung zu einen. Gemeinsam versuchte man sich erfolgreich gegen die Römer zur Wehr zu setzen. Die Herrschaft der Römer über die germanischen Stämme rechts des Rheins wurde so verhindert.

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Arminius einte die verschiedene Stämme nur für kurze Zeit.

Hätten die am Aufstand beteiligten Germanen weiter zusammen agiert, wäre es ihnen vielleicht gelungen, die Römer auch links des Rheins in Bedrängnis zu bringen. Doch die germanische Mentalität war eine andere. Arminius, der rund 100 Jahre später vom römischen Historiker Tacitus als Befreier der Germanen angesehen wurde, wurde von ihnen nur als einer von vielen betrachtet. Ziemlich schnell hatte er viele Neider, die begierig darauf waren, seine Macht zu erlangen. Kaum waren die Römer vertrieben, brachen erneut Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Stämmen aus. Wäre Arminius ein Römer gewesen, wäre ihm aufgrund seiner Leistung der Stolz des gesamten Imperiums gewiss gewesen. Als Germane hingegen wurde Arminius im Jahr 21 n. Chr. Opfer seiner eigenen Verwandten, die befürchteten, dass er zu mächtig würde. Die frühe Germanische Kultur war also geprägt von inneren Konflikten und Rivalitäten. Auch das Thema [kulturtheorien im überblick](https://shocknaue.com/kulturtheorien-im-uberblick/) kann hierbei helfen, die Konflikte besser zu verstehen.

Das Vermächtnis der Germanen

Obwohl die Germanen nie ein geeintes Volk bildeten, haben sie dennoch einen bedeutenden Einfluss auf die europäische Geschichte und Kultur ausgeübt. Ihre Stammesstrukturen, ihre Rechtsvorstellungen und ihre Sprache haben die Entwicklung vieler europäischer Länder geprägt. Auch heute noch finden sich Spuren germanischer Kultur in unseren Traditionen, Bräuchen und im alltäglichen Leben.

Die germanische Kultur, trotz ihrer Zerrissenheit und Stammesfehden, hat ein reiches Erbe hinterlassen, das bis heute nachwirkt. Die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte ermöglicht es uns, die komplexen Wurzeln unserer eigenen Kultur besser zu verstehen.

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