Als die spanischen Konquistadoren 1532 das Hochland von Peru erreichten, trauten sie ihren Augen kaum. Sie waren Gerüchten über ein sagenhaftes Goldland gefolgt, das sich irgendwo in den Bergen der Anden verstecken sollte. Was sie vorfanden, war die hoch entwickelte Inka-Kultur, die sie sowohl faszinierte als auch schockierte. Doch die Bedeutung der Inka geht weit über Gold und Reichtümer hinaus.
Eine goldene Mumienmaske
Neben dem vermeintlichen Reichtum der Inka faszinierte die Spanier ein straff organisiertes Staatswesen, ein hervorragend ausgebautes Straßensystem und Siedlungen, die in ihrer Größe und Pracht viele Städte auf der Iberischen Halbinsel übertrafen. Die Inka-Hauptstadt Cuzco beherbergte beispielsweise mehr als 200.000 Menschen.
Doch wie konnte sich in relativ kurzer Zeit ein so großes Reich auf dem südamerikanischen Kontinent etablieren? Immerhin war die Inka-Kultur erst im 13. Jahrhundert entstanden und erstreckte sich zeitweise vom heutigen Kolumbien bis in den Norden Chiles und Argentiniens. Die Geschichte der Inka ist eine Geschichte des Aufstiegs, der Organisation und letztendlich des tragischen Falls einer beeindruckenden Zivilisation.
Die Ursprünge der Inka-Kultur: Kinder der Sonne
Die Geschichte der Inka beginnt mit einer Legende. Was für das antike Rom die legendären Gründungsväter Romulus und Remus sind, sind für die Inka die göttlichen “Kinder der Sonne”: Manco Capac und Mama Occlo.
Der Legende zufolge blickte die Sonne einst voller Mitleid auf das Elend der Menschen. Sie schickte ihre beiden Kinder Manco Capac und Mama Occlo auf die Erde, um eine Herrschaft aus Toleranz, Freundlichkeit und Erkenntnis zu errichten. Sie sollten den Menschen Ackerbau, Viehzucht, Handwerk, Religion und Gesetze bringen. Wo sie ihren goldenen Zauberstab mühelos in den Boden steckten konnten, sollte das Zentrum des neuen Reiches entstehen.
So stiegen die beiden Kinder auf die Erde hinab, wanderten von den Ufern des Titicaca-Sees nach Norden und steckten im Tal von Cuzco ihren Stab in den Boden. An dieser Stelle entstand die Hauptstadt der Inka. Manco Capac wird der erste König der Inka, seine Schwester Mama Occlo die königliche Gemahlin.
Historiker datieren den Beginn der Inkageschichte um das Jahr 1200. Diese mythischen Ursprünge sind tief in der Inka-Kultur verwurzelt und prägten ihre Weltsicht.
Blick auf ein Tal mit Fluss in den Anden Perus.
Expansion und Organisation: Das Erfolgsrezept der Inka
Die ersten Generationen der Inka kümmerten sich um den Aufbau des jungen Staates im Tal von Cuzco. Nach und nach wurden Völker, die zusammen mit den Inka in dem Tal lebten, unterworfen und in den Staat integriert.
Erst der fünfte Inkaherrscher Capac Yupanqui führte erste Feldzüge außerhalb des Tals. Mittlerweile sahen sich die Inka gegenüber allen anderen Völkern als überlegen und auserwählt an. Sie bauten ein gut ausgebildetes Berufsheer auf, das die Grundlage für weitere Eroberungsfeldzüge bildete.
Doch die Inka waren nicht das einzige Volk, das seinen Machtbereich ausdehnen wollte. Das Nachbarvolk der Chanca hatte eine ähnliche Entwicklung durchlaufen und bedrohte im 15. Jahrhundert mit einem 100.000 Mann starken Heer den Staat der Inka.
In einer Entscheidungsschlacht gelang es 1437 dem legendären Pachacuti Yupanqui, die Chanca vernichtend zu schlagen. Die Machtposition der Inka war gefestigt, der Grundstein für weitere Eroberungen gelegt.
Unter Pachacuti Yupanqui und dessen Sohn Tupac Inka Yupanqui nahm das Reich riesige Ausmaße an. Als Tupac Inka Yupanqui 1493 stirbt, herrschen die Inka über 250 Völker und mehr als neun Millionen Menschen. Ihr Reich erstreckte sich von Nord nach Süd auf einer Länge von 5000 Kilometern. Die Inka waren auf dem Höhepunkt ihrer Macht angekommen. Die effektive Organisation des Reiches war ein Schlüsselfaktor für den Erfolg der Inka-Kultur.
Ein Inka-Nachfahre mit prächtigem Goldschmuck auf dem Kopf.
Die Inka: Meister der Organisation
In nur rund 300 Jahren hatte das relativ kleine Volk der Inka das größte Reich errichtet, das jemals in Südamerika existierte. Nur mit eigenen Ressourcen konnte dieses Reich unmöglich aufrecht erhalten werden.
Ähnlich wie die Römer waren auch die Inka auf Allianzen mit den unterworfenen Völkern angewiesen. Wer aus einer anderen Kultur stammte und es im Inkareich zu etwas bringen wollte, musste dem neuen Staat seine volle Loyalität erweisen. So konnte man auch als Nicht-Inka in der Verwaltung oder in der Armee Karriere machen.
Spanische Eroberer berichteten, dass ihnen das Inkareich wie “aus einem Guss geplant” vorkam. Tatsächlich waren die Inka Meister der Organisation. Sie bauten die Landwirtschaft planmäßig auf und legten riesige Terrassenfelder an den steilen Hängen der Anden an. Durch Bewässerungskanäle machten sie aus trostlosen Wüstengegenden fruchtbare Oasen. Diese landwirtschaftlichen Innovationen waren essentiell für die Versorgung der Bevölkerung und trugen maßgeblich zum Wachstum der Inka-Kultur bei.
Terrassenfelder an einem steilen Hang
Kunst und Kultur vereinheitlichten sie nach ihren Standards. Dabei erfanden die Inka allerdings nichts neu, sondern bedienten sich der Traditionen anderer Andenvölker, die schon lange vor ihnen existiert hatten. So wie die Römer die Metallverarbeitung von den Etruskern und die Philosophie von den Griechen übernahmen, entwickelten die Inka die Goldschmiedekunst der Chimú und die Webkunst der Moche weiter.
Herzstück des Inkareiches war das 40.000 Kilometer umfassende Straßensystem, das oft mit dem der römischen Antike verglichen wird. Zwei Hauptstraßen führten von Nord nach Süd durch das gesamte Reich: eine an der Küste entlang, die andere durch das Hochland der Anden. Zahlreiche Nebenstraßen verbanden die beiden Hauptachsen miteinander und ermöglichten so rasche Truppenbewegungen und Gütertransporte. Dieses Straßennetzwerk war ein Meisterwerk der Ingenieurskunst und ermöglichte die effiziente Verwaltung und Kontrolle des riesigen Reiches.
Das jähe Ende der Inka-Kultur
Als die Spanier 1532 in den Herrschaftsbereich der Inka vordringen, sind die Inka gerade in einen blutigen Erbfolgekrieg verstrickt und tief gespalten. Zudem grassieren seit einiger Zeit die Pocken, die sich wahrscheinlich von Mittelamerika bis in den Andenraum ausgebreitet haben.
Das Inkareich ist daher geschwächt und auf eine weitere Bedrohung nicht eingerichtet. So empfängt der letzte Inkaherrscher Atahualpa die wenigen Hundert Spanier und ihren Anführer Francisco Pizarro freundlich in der Stadt Cajamarca. Pizarro nimmt jedoch den von mehreren Tausend Kriegern begleiteten Atahualpa gefangen.
Trotz ihrer beeindruckenden Errungenschaften und ihrer hochentwickelten Inka-Kultur konnten die Inka der spanischen Invasion nicht standhalten. Die Kombination aus internen Konflikten, Krankheiten und der militärischen Überlegenheit der Spanier führte zum Untergang des Inka-Reiches und zur Zerstörung eines Großteils ihres kulturellen Erbes.
Die Inka-Kultur mag zwar untergegangen sein, aber ihr Erbe lebt weiter. Ihre architektonischen Meisterleistungen, ihre landwirtschaftlichen Innovationen und ihre faszinierende Geschichte faszinieren und inspirieren bis heute. Ein Besuch in den Anden, insbesondere in Machu Picchu, ist eine unvergessliche Reise in die Vergangenheit und eine Hommage an eine der größten Zivilisationen der Welt.