Die Künstlerische Gymnastik, oft auch Rhythmische Sportgymnastik genannt, bietet Athletinnen (und in einigen Ländern auch Athleten) eine einzigartige Plattform, ihre Persönlichkeit durch Bewegung auszudrücken. Sie vereint sportliche Höchstleistungen mit ästhetischer Bewegung, einem ausgeprägten Raum- und Zeitgefühl sowie kreativem Können.
Während die Wettkämpfe der Rhythmischen Gymnastik hauptsächlich von Frauen bestritten werden, erfreut sich diese Sportart auch bei Männern in Ländern wie Japan, Russland, den USA und Spanien wachsender Beliebtheit.
Die Rhythmische Gymnastik wird mit Handgeräten und musikalischer Begleitung ausgeübt.
Die Handgeräte im Detail
Im Einzelwettbewerb kommen vier verschiedene Handgeräte zum Einsatz: Reifen, Ball, Keulen und Band. Im Gruppenwettbewerb kann zusätzlich das Seil verwendet werden. Die Auswahl der Handgeräte wird alle zwei Jahre vom Internationalen Turnerbund (FIG) festgelegt.
Der Reifen
Der Reifen, gefertigt aus Kunststoff oder Holz, wiegt mindestens 300 Gramm. Sein Innendurchmesser liegt zwischen 80 und 90 cm. Spezifische technische Elemente sind Rollen am Körper, Rotationen um die Reifenachse sowie Passagen durch den Reifen. Der Reifen bietet eine enorme Vielfalt an Bewegungsmöglichkeiten.
Der Ball
Der Ball besteht aus Gummi oder synthetischem Material, wiegt mindestens 400 Gramm und hat einen Durchmesser von 18 bis 20 cm. Typische technische Elemente sind Rollen am Körper und Prellen. Der Ball gilt als “lyrisches” und elegantes Handgerät. Er liegt in der Hand der Gymnastin, ohne dass sie sich am Handgelenk abstützen oder ihn “grapschen” muss. Die Bewegungen sollen fließend und harmonisch sein.
Die Keulen
Die Keulen sind 40 bis 50 cm lang, wiegen jeweils mindestens 150 Gramm und bestehen aus Holz oder Kunststoff. Charakteristische technische Elemente sind das Mühlhandkreisen und kleine Rotationswürfe beider Keulen. Der Umgang mit den Keulen erfordert eine ausgeprägte psychomotorische Koordinationsfähigkeit, Rhythmusgefühl und präzises Arbeiten. Sie sind das bevorzugte Handgerät für Gymnastinnen mit beidhändiger Geschicklichkeit.
Das Band
Das Band besteht aus ungestärkter Seide oder einem ähnlichen Material, ist mindestens 6 Meter lang und 4 bis 6 cm breit. Der Bandstab hat einen Durchmesser von 1 cm und eine Länge von 50 bis 60 cm. Er besteht aus Bambus, Holz, Kunststoff oder Fiberglas und wiegt maximal 35 Gramm. Typische technische Elemente sind Schlangen und Spiralen. Das Band sollte in weiten, fließenden und konstanten Bewegungen geführt werden.
Das Seil
Das Seil besteht aus Hanf oder einem synthetischen Material. Die Länge richtet sich nach der Körpergröße der Gymnastin. Das Seil ist ein sehr dynamisches Handgerät. Gymnastinnen mit guter Explosiv- und Sprungkraft haben hier ihre Stärken. Weil man das Seil auf Bildschirmen schlecht sieht, kommt es nur noch im Juniorinnen-Gruppenbewerb zum Einsatz. [rhythmische sportgymnastik anfänger](https://shocknaue.com/rhythmische-sportgymnastik-anfanger/)
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Die Wettkampf-Disziplinen der Künstlerischen Gymnastik
Die künstlerische Gymnastik kennt zwei unterschiedliche Wettkampf-Disziplinen:
- Wettkämpfe im Einzelbewerb (seit 1984 olympisch)
- Wettkämpfe im Gruppenbewerb (seit 1996 im olympischen Programm)
Die Einzelgymnastinnen bestreiten einen Mehrkampf (vier Übungen) und die Gerätefinali, für die sich die besten acht Gymnastinnen pro Handgerät qualifizieren. Bei Welt- und Europameisterschaften wird zusätzlich noch ein Mannschaftswettkampf ausgetragen.
Die Gruppen bestehen aus sechs Gymnastinnen, von denen jeweils fünf eine gemeinsame Übung präsentieren. Im Wettkampfprogramm stehen jeweils zwei Übungen: eine mit dem gleichen Handgerät und eine mit zwei verschiedenen Handgeräten.
Übungsdauer und musikalische Begleitung
Eine Einzelübung dauert maximal 1:30 Minuten, eine Gruppenübung maximal 2:30 Minuten.
Die Musikbegleitung ist auf die Übungen zugeschnitten oder extra dafür komponiert und wird über Datenträger abgespielt. Seit 2022 gibt es keinerlei Einschränkungen bezüglich der musikalischen Begleitung mehr. Für alle Übungen sind nun Musiken mit Gesang und Text erlaubt.
Das Wertungsgericht
Als Wertungsrichter*innen werden Personen eingesetzt, die eine schwierige Prüfung nach internationaler Norm bestanden haben und daher ein hohes Maß an Fachkenntnis besitzen. Das Wertungsgericht besteht für jede Übung aus einer D-, einer A- und einer E-Jury.
Die D(ifficulty)-Jury (Schwierigkeits-Jury) besteht aus zwei Teilgruppen: D/B bewertet den technischen Wert der körpertechnischen Schwierigkeiten und Risikoelemente. D/A bewertet den technischen Wert der gerättechnischen Schwierigkeiten und die Verwendung der spezifischen fundamentalen und der fundamentalen Handgerättechniken.
Die A(rtistic)-Jury (künstlerische Jury) bewertet den künstlerischen Inhalt der Übung. Der Charakter der Musik und die Bewegungen der Gymnastinnen sollen perfekt übereinstimmen. Wesentliche Elemente der Artistik sind Tanzschrittkombinationen, körper- oder gerättechnische Effekte in Übereinstimmung mit der Musik, mindestens zwei dynamische Wechsel sowie logische Verbindungen der einzelnen Elemente.
Eine junge Gymnastin zeigt ihr Können mit dem Reifen
Die E(xecution)-Jury (Ausführungs-Jury) bewertet die technische Ausführung.
Bewertungssystem in der Rhythmischen Gymnastik
Die Note ist nicht mehr durch einen Höchstwert beschränkt, da die Schwierigkeits-Note nach oben offen ist. Die Höchstnote für Ausführung und Artistik beträgt jeweils maximal 10 Punkte. Die künstlerische Gymnastik ist eine anspruchsvolle Sportart, die sowohl körperliche als auch künstlerische Fähigkeiten erfordert.
Wettkampffläche und -halle
Die Wettkampffläche besteht aus einem 13×13 Meter großen Teppich auf einem speziell abgefederten Unterbau. Die rote Linie begrenzt die Wettkampffläche – bei Übertretungen gibt es Punktabzug. Die Wettkampfhalle muss über dem Teppich mindestens zehn Meter hoch sein, wobei auch keine Verstrebungen tiefer liegen dürfen, da sonst Geräte anschlagen oder hängen bleiben könnten.
Chronik der Rhythmischen Gymnastik (in Österreich)
Die Ursprünge der Rhythmischen Gymnastik als Wettkampfdisziplin gehen auf die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zurück. 1963 fand in Budapest die erste Weltmeisterschaft statt, 1978 in Madrid die erste Europameisterschaft.
Die Anfänge in Österreich sind in den 1950er-Jahren angesiedelt. Die Entwicklung startete mit der Gründung des „Österreichischen Gymnastikbundes“. 1952 gewann Österreich sogar Gold bei einem inoffiziellen WM-Vorgängerbewerb.
In den 1960er-Jahren übernahm der Österreichische Fachverband für Turnen (Turnsport Austria) die Verantwortung über die rotweißrote Rhythmische Gymnastik. 1968 wurden die ersten Staatsmeisterschaften veranstaltet, 1973 die ersten eigenständigen österreichischen Jugendmeisterschaften und 1983 die ersten Gruppen-Staatsmeisterschaften.
Seit 1984 ist die Rhythmische Gymnastik eine olympische Sportart. Bisher nahmen fünf österreichische Gymnastinnen an den Olympischen Spielen teil: 1988 Elisabeth Bergmann (Rang 25), 1996 Birgit Schielin (Rang 24) und Nina Taborsky (Rang 29), 2008 und 2012 Caroline Weber (als bisher bestplatzierte auf Rang 17 und 18) sowie 2016 Nicol Ruprecht (Platz 20). Die künstlerische Gymnastik hat in Österreich eine lange Tradition.
Drei Mal organisierte der Turnsport Austria bislang internationale Topereignisse in Wien: Die Europameisterschaften 1984 und 2013 sowie die Weltmeisterschaften 1995. Österreichs Rekord-Staatsmeisterin ist Caroline Weber (TS Dornbirn), sie hält mit 55x Gold nicht nur den ewigen österreichischen Rekord, sondern auch den „Weltrekord“ an nationalen Meistertiteln.
Übrigens: In der Öffentlichkeit und in den Medien hält sich der Begriff “Rhythmische Sportgymnastik” hartnäckig. Doch bereits 1998 änderte der Weltturnverband die offizielle Bezeichnung auf “Rhythmische Gymnastik” ohne “Sport” in der Mitte…
Das ÖFT-EM-Team 2017
Trainingsorte und Leistungszentren
Die Rhythmische Gymnastik ist in allen neun österreichischen Bundesländern verbreitet, rund 25 bis 30 Vereine nehmen derzeit aktiv am Wettkampfgeschehen teil. Die wichtigsten regionalen Trainingsstützpunkte befinden sich in Dornbirn, Wörgl, Innsbruck, Graz, Wiener Neustadt, Salzburg und Wien.
Seit 2006 bereitete sich die Nationalmannschaft schwerpunktmäßig in Wien auf Großereignisse vor. Seit 2019 trainieren die Turnsport Austria-Kadermitglieder im neu eröffneten Bundesleistungszentrum in Wien-Stadlau im einzigen RG-Trainingszentrum Österreichs mit fix aufgebauten Wettkampfflächen und internationalem Standard.
Wer künstlerische Gymnastik als Leistungssport betreiben möchte, sollte im Vorschulalter damit beginnen. Anfangs genügt 2x bis 3x wöchentliches Training von 1½ bis 2 Stunden.
Wie in jedem anderen Sport haben auch in der Rhythmischen Gymnastik nur wenige Hochbegabte das Potenzial für internationale Spitzenleistungen. Doch diese einzigartige Sportart fasziniert viel mehr Mädchen und Frauen. Für sie gibt es in Österreichs RG-Vereinen ein attraktives Hobby-Betätigungsfeld. Hunderte Teilnehmerinnen fast aller Altersstufen veranschaulichen dies jedes Jahr bei den größten B-Stufen- und Gruppenbewerben bei ansteigender Tendenz sehr deutlich!
Nähere Informationen zur Rhythmischen Gymnastik und zu Trainingsmöglichkeiten erhält man in der Turnsport Austria-Zentrale: office@oeft.at