Politische Bildung in reaktionären Zeiten: Ein Plädoyer für die standhafte Schule

Schüler*innen im Klassenzimmer, die sich mit komplexen Themen auseinandersetzen

In Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung und dem Aufkommen reaktionärer Tendenzen wird die Rolle der politischen Bildung in Schulen immer wichtiger. Wie können wir junge Menschen befähigen, sich kritisch mit komplexen gesellschaftlichen Fragestellungen auseinanderzusetzen und sich aktiv für demokratische Werte einzusetzen? Das Buch “Politische Bildung In Reaktionären Zeiten” von Rico Behrens, Anja Besand und Stefan Breuer bietet hierzu fundierte Einblicke und praktische Hilfestellungen.

Diese Publikation widmet sich den Herausforderungen, denen sich Lehrkräfte und Bildungseinrichtungen im Angesicht menschenfeindlicher Ideologien und rechter Argumentationsweisen gegenübersehen. Anhand von 32 realen und detailreich illustrierten Fallsituationen werden praxisnahe Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt und diskutiert. Das Werk versteht sich als unverzichtbare Ressource für Lehrende, die ihre Schülerinnen und Schüler auf eine Weise bilden möchten, die sie befähigt, sich kritisch mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen auseinanderzusetzen und eine “standhafte Schule” zu gestalten.

Die Notwendigkeit der politischen Bildung in herausfordernden Zeiten

Die heutige Zeit ist geprägt von schnellen gesellschaftlichen Umbrüchen und der Zunahme extremistischer und reaktionärer Strömungen. Diese Entwicklungen stellen die politische Bildung vor immense Aufgaben. Es reicht nicht mehr aus, reines Faktenwissen zu vermitteln; vielmehr geht es darum, junge Menschen zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen, die in der Lage sind, komplexe Sachverhalte zu durchdringen, unterschiedliche Perspektiven zu verstehen und fundierte eigene Urteile zu bilden.

Gerade in Zeiten, in denen populistische und nationalistische Parolen auf fruchtbaren Boden fallen, ist es essenziell, dass Schulen als Orte der kritischen Auseinandersetzung und der Förderung demokratischer Werte fungieren. Doch wie kann dies konkret aussehen, wenn Lehrkräfte mit kontroversen Meinungen, Hassreden oder sogar rechtsextremen Tendenzen im Schulalltag konfrontiert werden? Genau hier setzt das Buch “Politische Bildung in reaktionären Zeiten” an und liefert Antworten auf diese drängenden Fragen.

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Einblicke in die Praxis: 32 Fallbeispiele für den Schulalltag

Das Herzstück des Buches bilden 32 detailliert ausgearbeitete Fallbeispiele, die reale Situationen aus dem schulischen Umfeld widerspiegeln. Diese Fälle decken ein breites Spektrum an Herausforderungen ab, von subtilen Formen der Diskriminierung bis hin zu offenen rechtsextremen Äußerungen. Sie reichen von Vorfällen, die Schülerinnen und Schüler verunsichern, über solche, die Lehrkräfte schlaflose Nächte bereiten, bis hin zu komplexen Problemen, die die gesamte Schulleitung und das System herausfordern.

Schüler*innen im Klassenzimmer, die sich mit komplexen Themen auseinandersetzenSchüler*innen im Klassenzimmer, die sich mit komplexen Themen auseinandersetzen

Die illustrierten Fälle ermöglichen es, pädagogische Reflexionen anzustoßen und direkte Anwendungsszenarien für die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften zu schaffen. So werden beispielsweise folgende Situationen beleuchtet:

  • *Fälle, die Schülerinnen verunsichern:* Von der Anzeige von Mitschülerinnen über die Reaktion auf Verschwörungstheorien bis hin zum Umgang mit volksverhetzenden Videos im Unterricht.
  • Fälle, die Lehrkräfte herausfordern: Der Umgang mit kontroversen Kleidungsstücken, Gedenkstättenbesuchen, Beschwerden über “verordnete” Weltoffenheit oder Dienstaufsichtsbeschwerden wegen vermeintlicher politischer Unausgewogenheit.
  • Fälle, die die Schulleitung beschäftigen: Anträge extremistischer Parteien auf Schulraum, die Verzweiflung über Personalmangel im Umgang mit schwierigen Fällen oder die Herausforderungen durch rechtsextreme Eltern.
  • Fälle, die das gesamte System betreffen: Von SEK-Einsätzen an Schulen über die Präsenz von rechtsextremen Parteien bis hin zum Hakenkreuz im Physikraum oder Klassenfahrten zur AfD.
  • Fälle an der Schnittstelle von Schule und Gesellschaft: Angriffe durch “Kuschelnazis”, Hausaufgabenhilfe durch extremistische Gruppen oder die Präsenz von rechtsextremen Inhalten auf Schulhöfen.
  • Klassische, oft übersehene Fälle: Rechte Mode-Labels, Parolen von Schüler*innen oder das kontroverse Tragen von T-Shirts mit politischen Botschaften.
  • Vorfälle außerhalb der Schule, die das schulische Umfeld beeinflussen: Angriffe auf Workshopleitungen, rassistische Kursleitungen an Volkshochschulen oder Hitlerbilder in Jugendklubs.

Diese Bandbreite an Beispielen zeigt die Allgegenwärtigkeit und Komplexität der Herausforderungen, denen sich die politische Bildung stellen muss.

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Analyse der Probleme und Stolpersteine

Neben der Darstellung konkreter Fälle widmet sich das Buch auch der Analyse der zugrundeliegenden Probleme und den typischen Stolpersteinen, die im Umgang mit menschenfeindlichen Tendenzen auftreten können. Die Autor*innen identifizieren Probleme bei der Wahrnehmung und Verantwortungsübernahme, wie das Problem der Identifikation, der Zuständigkeit, fehlender Kapazitäten oder einer unklaren Positionierung.

Sie beleuchten die Herausforderungen in der Auseinandersetzung, darunter die Delegitimierung politischer Bildung, Einschüchterungsversuche, Shitstorms, das Geraten in die Defensive, emotionale Belastungen, die Moralisierungsfalle oder das Phänomen des Burgfriedens.

Darüber hinaus werden wichtige Stolpersteine aufgezeigt, die es unbedingt zu vermeiden gilt:

  • Indifferent bleiben und sich an Normalisierung beteiligen: Das Risiko, extremistische Ideologien durch Ignorieren zu verharmlosen.
  • Opfer und Betroffene übersehen: Die Wichtigkeit, die Perspektiven derjenigen in den Fokus zu rücken, die von Diskriminierung betroffen sind.
  • Vermeintliche Neutralität: Die Falle, sich hinter einer nicht vorhandenen Neutralität zu verstecken, anstatt klare Haltung zu beziehen.
  • Überreagieren: Die Notwendigkeit einer besonnenen Reaktion, die nicht in Aktionismus oder vorschnelle Urteile mündet.
  • Sich an Othering beteiligen: Das Vermeiden von Ausgrenzung und Stereotypisierung.
  • Umfassende Verbote: Die Erkenntnis, dass pauschale Verbote oft nicht zielführend sind.
  • “Infektionsängste”: Die Gefahr, Tendenzen wie eine Krankheit zu betrachten, statt sie als politisch motivierte Phänomene zu analysieren.
  • Legitimationsfalle und Legalismus: Die Notwendigkeit, sich nicht auf rein juristische oder argumentative Spitzfindigkeiten einzulassen.
  • Alles durch Unterricht lösen wollen: Die Erkenntnis, dass politische Bildung oft systemischer Ansätze bedarf.
  • Sich vereinzeln lassen / Selbstüberforderung: Die Bedeutung von kollektiver Unterstützung und dem Aufbau von Netzwerken.

Professionelle Lösungsansätze für eine standhafte Schule

Das Buch bietet nicht nur eine fundierte Problembeschreibung, sondern auch konkrete und praxiserprobte Lösungsansätze. Diese reichen von einer “Reaktions-Checkliste” zur Übernahme von Verantwortung über die Gestaltung pädagogischer Kommunikationssituationen bis hin zu systemischem Handeln und demokratischer Schulentwicklung.

Pädagogische Kommunikationssituationen gestalten

Hierzu gehören Werkzeuge wie der “Entscheidungsbaum für Gespräche”, das “Argumentationsdreieck” und die “5-Satz-Technik”, die helfen, auf Stammtischparolen und provokative Äußerungen angemessen zu reagieren. Lernmaterialien und Unterrichtshilfen werden ebenfalls vorgestellt, um die Auseinandersetzung im Unterricht zu fördern.

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Schüler*innen im Klassenzimmer, die sich mit komplexen Themen auseinandersetzenSchüler*innen im Klassenzimmer, die sich mit komplexen Themen auseinandersetzen

Systemisches Handeln und demokratische Schulentwicklung

Dieser Teil des Buches adressiert die Notwendigkeit, schulische Strukturen zu stärken und die demokratische Entwicklung zu fördern. Dazu werden Reflexions-Tools für das eigene Professions- und Rollenverständnis, politische Orientierungen und Toleranzgrenzen angeboten. Kollegiale Fallberatung und Change-Management-Tools unterstützen den Prozess der Schulentwicklung.

Administrative Hilfen und Netzwerke

Um Lehrkräfte und Schulleitungen zu entlasten, bietet das Buch auch administrative Hilfen. Dazu zählen Muster für Hausordnungen, Checklisten für Notfallabläufe, Formulierungshilfen für Behörden und Unterstützung im Umgang mit Symbolen. Eine Übersicht über bundesweite Beratungsstellen rundet das Angebot ab und zeigt auf, wo zusätzliche Unterstützung gefunden werden kann.

Die Autor*innen, Prof. Dr. Rico Behrens, Prof. Dr. Anja Besand und Stefan Breuer, bringen ihre langjährige Expertise in der politischen Bildung und der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus und Rechtspopulismus ein. Ihre fundierten Kenntnisse und ihre praxisnahe Herangehensweise machen dieses Buch zu einem unverzichtbaren Begleiter für alle, die sich für eine starke und wehrhafte politische Bildung in unserer Gesellschaft einsetzen möchten.

Fazit: Ein unverzichtbarer Ratgeber für die demokratische Bildungsarbeit

“Politische Bildung in reaktionären Zeiten” ist mehr als nur ein Buch; es ist ein Plädoyer für eine Schule, die aktiv und mutig ihre demokratischen Werte verteidigt und lebt. Es bietet nicht nur theoretische Grundlagen, sondern vor allem konkrete Werkzeuge und Strategien, um den Herausforderungen des aktuellen politischen Klimas wirksam zu begegnen. Für Lehrerinnen, Referendarinnen, Schulleiter*innen und alle, die sich für die Zukunft der Demokratie engagieren, ist dieses Buch eine unverzichtbare Lektüre und eine wertvolle Ressource, um eine “standhafte Schule” zu gestalten und somit einen essenziellen Beitrag zur Stärkung unserer demokratischen Gesellschaft zu leisten.