Viele Versicherungsnehmer, die zwischen 1994 und 2007 eine Lebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen haben, wissen nicht, dass sie möglicherweise Anspruch auf eine Rückerstattung haben. Fehlerhafte Widerrufsbelehrungen in den Verträgen ermöglichen es, diese auch Jahre später noch zu widerrufen und deutlich mehr Geld zurückzubekommen, als bei einer Kündigung.
Lebensversicherung – Widerspruch kann Tausende Euro bringen
Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 7. Mai 2014 (Az. IV ZR 76/11) hat vielen Verbrauchern die Augen geöffnet. Demnach können Kunden ihren zwischen 1994 und 2007 geschlossenen Lebens- und Rentenversicherungsverträgen mit fehlerhaften Belehrungen auch heute noch widersprechen. Der Grund: Oftmals wurden die Kunden nicht korrekt über ihr Widerrufsrecht informiert.
Wer ist betroffen? Verträge mit fehlerhafter Widerrufsbelehrung
Besonders betroffen sind Verträge, die zwischen dem 29. Juli 1994 und dem 31. Dezember 2007 nach dem sogenannten Policenmodell abgeschlossen wurden. Laut BGH-Urteilen waren in diesen Verträgen häufig die Belehrungen falsch oder es fehlten notwendige Vertragsunterlagen. Entscheidend ist, dass die Widerrufsfrist in diesen Fällen oft nie zu laufen begann, weil die Gesellschaften die Unterlagen erst später zusammen mit dem Versicherungsschein (Police) übergaben.
Typische Formulierungen in den Verträgen waren beispielsweise: „Wie Ihnen bereits aufgrund unseres Hinweises im Versicherungsantrag bekannt ist, können Sie innerhalb von 14 Tagen [Anmerkung: nach 2004 innerhalb von 30 Tagen] nach Erhalt des Versicherungsscheins dem Versicherungsvertrag widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt eine rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.“
Diese Belehrung wurde vom BGH als unzureichend eingestuft. Es fehlte der Hinweis darauf, dass der Widerruf in Textform zu erfolgen hat und die Belehrung optisch deutlich hervorgehoben sein muss. Diese Urteile bedeuten, dass ein Widerrufsrecht für alle Verträge besteht, in denen bis Ende 2007 fehlerhaft belehrt wurde. Ist der Beginn der Widerrufsfrist nicht angegeben oder die Belehrung nicht deutlich vom übrigen Text abgehoben, besteht ein unbefristetes Rücktrittsrecht.
Was bedeutet ein erfolgreicher Widerruf für die Rückerstattung Ihrer Lebensversicherung?
Ist ein Widerruf erfolgreich, darf die Versicherung lediglich die Beiträge für den „genossenen Versicherungsschutz“, wie Risikobeiträge für den Todesfallschutz, einbehalten. Alle anderen Einzahlungen – und das ist entscheidend – müssen die Gesellschaften komplett erstatten. Dies betrifft laut BGH auch die hohen Abschluss- und Verwaltungskosten für solche Policen (Az. IV ZR 448/14). Darüber hinaus müssen die Versicherungen auch die Zinsen erstatten, die sie mit den eingezahlten Beiträgen erwirtschaftet haben.
Experten schätzen, dass viele Kunden durch einen erfolgreichen Widerruf mehrere Tausend Euro mehr zurückerhalten können als bei einer regulären Kündigung.
Millionen Verträge betroffen – Nutzen Sie Ihre Chance auf Rückerstattung!
Das BGH-Urteil, das auf Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2013 basiert, hat weitreichende Folgen. Kunden können nicht nur laufenden, sondern auch bereits gekündigten oder regulär abgelaufenen Verträgen widersprechen.
Schätzungen zufolge enthalten etwa 50 bis 60 Prozent der 40 Millionen zwischen 1994 und 2007 abgeschlossenen Verträge fehlerhafte Belehrungen. Das bedeutet, dass potenziell 20 bis 24 Millionen Verträge rückabwickelbar sind. Dies gilt auch für fondsgebundene Verträge sowie Riester- und Rürup-Rentenversicherungen mit fehlerhaften oder unvollständigen Belehrungen.
So setzen Sie Ihr Recht auf Rückerstattung durch
Verbraucherzentralen empfehlen, die Chance zu nutzen, um unvorteilhafte Policen ohne große Verluste loszuwerden oder Verträge im Nachhinein aufzubessern. Allerdings ist es für Laien oft schwierig, ihr Recht ohne professionelle Hilfe durchzusetzen. Nur ein Jurist kann beurteilen, ob eine Belehrung tatsächlich fehlerhaft ist. Auch die Berechnung der Forderungen an den Versicherer ist komplex.
Versicherer sind zudem oft wenig kooperativ und mauern, wenn Kunden auf eigene Faust Forderungen stellen. Es ist ratsam, sich an eine Verbraucherzentrale, einen Anwalt oder einen Dienstleister zu wenden, der auf Widerrufsverfahren spezialisiert ist.
Telefonische Beratung: Expertenhilfe ist oft notwendig, um komplexe Widerrufsansprüche erfolgreich gegen Versicherungen durchzusetzen.
Erste Einschätzung online
Für eine erste grobe Einschätzung, wie viel Geld eine Rückabwicklung des Vertrags einbringen kann, können Interessierte ihre Vertragsdaten in kostenlose Online-Rechner eingeben. Sowohl die Verbraucherzentrale Hamburg als auch einige Anwälte bieten diese Möglichkeit an. Wichtig ist, den Ursprungsvertrag zur Hand zu haben und den aktuellen Stand der Police zu kennen.
Ausstieg überlegen – Ist die Rückerstattung wirklich sinnvoll?
Läuft ein Vertrag über eine Lebens- oder Rentenversicherung noch, ist eine Rückabwicklung nicht in jedem Fall sinnvoll. Es ist wichtig, die Vor- und Nachteile sorgfältig abzuwägen.
Ist die Versicherung beispielsweise mit einem Berufsunfähigkeitsschutz gekoppelt, würde dieser beim Ausstieg verloren gehen. Kunden können nicht sicher sein, ob sie noch einen bezahlbaren neuen Schutz bekommen. Auch der Todesfallschutz entfällt bei einer Rückabwicklung.
Es gibt auch gute Verträge, insbesondere solche mit hohen Garantiezinsen und niedrigen Kosten. Steuerliche Vorteile können bei einer Rückabwicklung ebenfalls verloren gehen. Eine individuelle Beratung durch einen Experten ist daher unerlässlich.
Widerstand der Versicherer: Was Sie erwartet
Versicherungsnehmer müssen sich darauf einstellen, dass Versicherer oft Widerstand leisten. Einige Gesellschaften behaupten, dass ihre Belehrungen korrekt waren und alle erforderlichen Vertragsunterlagen ausgehändigt wurden. Die Debeka beispielsweise gibt an, dass es keine Rückabwicklungen gegeben habe und man sich nur in wenigen Fällen verglichen habe.
Andere Versicherer haben vorsorglich Rückstellungen gebildet, erwarten aber kein nennenswert verändertes Kundenverhalten.
Die Allianz betont, dass sie in den meisten Gerichtsverfahren gewonnen habe, in denen es um die Frage der Rückabwicklung nach einem Widerruf ging. Rechtsanwälte widersprechen dieser Darstellung und verweisen auf viele geschlossene Vergleiche und Zahlungen der Allianz in zahlreichen Fällen.
Fazit: Rückerstattung der Lebensversicherung – Prüfen Sie Ihre Ansprüche!
Die Möglichkeit der Rückerstattung einer Lebensversicherung durch einen Widerruf bietet vielen Versicherungsnehmern die Chance, deutlich mehr Geld zurückzuerhalten als bei einer Kündigung. Betroffen sind insbesondere Verträge, die zwischen 1994 und 2007 abgeschlossen wurden und fehlerhafte Widerrufsbelehrungen enthalten. Lassen Sie Ihre Verträge von einem Experten prüfen und setzen Sie Ihre Ansprüche durch!