Die Geschichte der modernen Stadtentwicklung ist eng mit der des Wassers verbunden. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts, als Europas und Nordamerikas Metropolen rasant wuchsen, entstanden die ersten Kanalisationen. Wasser wurde zum bequemen Transportmittel für Straßenschmutz, Fäkalien und Fabrikabfälle. Doch die anfängliche Vorstellung von der Selbstreinigungskraft der Flüsse erwies sich schnell als trügerisch – Oberflächengewässer verwandelten sich in stinkende, giftige Kloaken. Diese Erkenntnis markiert den Beginn eines anhaltenden Kampfes gegen die zerstörung der umwelt und unsere Wasserressourcen.
Heute ist Wasser lebenswichtig, doch Übernutzung, Verschmutzung und der Klimawandel bedrohen seine Vorräte weltweit. Insbesondere die industrielle Landwirtschaft birgt ein enormes Potenzial für die Entwicklung wasserschonenderer Systeme, erfordert aber eine grundlegende Veränderungsbereitschaft. Der “Wasseratlas 2025”, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem BUND, beleuchtet umfassend den Schutz von Wasserökosystemen und das Menschenrecht auf Wasser. Er bietet wertvolle Einblicke in die aktuelle umweltprobleme und mögliche Lösungsansätze.
Nitratbelastung durch intensive Landwirtschaft
Synthetischer Dünger bleibt bis heute eine Hauptursache für extremes Algenwachstum, Sauerstoffmangel und massives Fischsterben in unseren Gewässern. Besonders in Regionen, die von der intensiven Landwirtschaft dominiert werden, gelangen übermäßige Mengen an Düngemitteln in die Natur. Pflanzen können nur einen Teil der Nährstoffe aufnehmen; der Rest wird durch Regen und Drainagegräben ins Grundwasser und in Oberflächengewässer gespült. Im Jahr 2022 gelangten so etwa 16.000 Tonnen Stickstoff und rund 520 Tonnen Phosphor über deutsche Flüsse in die Ostsee.
Deutschland hat die Nitrat-Grenzwerte der Europäischen Union (EU) seit ihrer Einführung im Jahr 2006 kein einziges Mal eingehalten. Laut dem Umweltministerium überschreitet die Stickstoffverbindung Nitrat im Grundwasser an einem Viertel der bundesweiten Messstellen den Grenzwert. Bei solchen Überschreitungen sind die Wasserversorger verpflichtet, Maßnahmen zur Wiederherstellung der Wasserqualität zu ergreifen und die Öffentlichkeit zu informieren. In Niedersachsen, einem Bundesland mit vielen großen Viehbetrieben, mussten bereits mehrere Brunnen dauerhaft geschlossen werden.
Es gibt jedoch auch positive Entwicklungen, die Anlass zur Hoffnung geben. Aktuell sinken in Niedersachsen die Nitratkonzentrationen im Sickerwasser. Der Stickstoffeintrag durch Mineraldünger und Gülle aus der Tierhaltung wurde reduziert. Wenn dieser Trend anhält, wird langfristig auch das Grundwasser entlastet. Dies zeigt, dass gezielte Maßnahmen zur Reduzierung der Wasserverschmutzung Durch Landwirtschaft erfolgreich sein können.
Titelbild des Wasseratlas 2025, einer wichtigen Publikation über den Schutz von Wasserökosystemen
Der ökologische Zustand unserer natürlichen Gewässer wird maßgeblich durch den Vergleich der vorhandenen Organismen mit den Arten bestimmt, die unter natürlichen Bedingungen zu erwarten wären. Die Erhaltung dieser biologischen Vielfalt ist entscheidend für die Gesundheit unserer Ökosysteme.
Grafik zeigt den ökologischen Zustand natürlicher Gewässer in Deutschland im Jahr 2022, basierend auf Organismenvielfalt
Pestizide, PFAS und Mikroplastik: Eine unsichtbare Gefahr
Neben Nitraten belasten auch Pestizide unsere Flüsse, Seen, Bäche, Meere und Grundwasserreservoirs erheblich. Diese sogenannten Pflanzenschutzmittel werden in der Landwirtschaft eingesetzt, um Ernten vor Pilzen, Beikräutern und Insekten zu schützen. Im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 75.000 Tonnen Pestizide verkauft. Von Äckern und Feldern gelangen sie durch Oberflächenabfluss oder Versickerung in die Gewässer, wo sie die Wasserqualität beeinträchtigen, Fische sowie andere Wasserlebewesen schädigen und letztendlich auch die Gesundheit des Menschen gefährden.
In vielen Pestiziden finden sich zudem sogenannte Ewigkeitschemikalien, die per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS). In der EU hat sich die Zahl der Obst- und Gemüsesorten mit Rückständen von mindestens einem PFAS-Pestizid in den letzten 10 Jahren verdreifacht. PFAS sind extrem langlebige Industriechemikalien, die in vielen Bereichen eingesetzt werden und im menschlichen Körper erhebliche Schäden anrichten können.
Sie sind oft auch in Plastikmüll enthalten, der Weichmacher freisetzt und in immer kleinere Teile, sogenanntes Mikroplastik, zerfällt. Mittlerweile werden sogar Düngemittel in Kunststoffschichten gehüllt, um ihre Wirkung zu verlängern. Auf diesem Weg sammelt sich Plastik in Ackerböden an und landet letztlich im Wasser. Meerestiere sind dem Plastikmüll schutzlos ausgeliefert; sie fressen ihn oder verfangen sich in größeren Kunststoffteilen. Um Mikroplastik, PFAS und Medikamentenreste effektiver aus dem Abwasser zu eliminieren, plant die EU die Aufrüstung größerer Kläranlagen mit einer zusätzlichen vierten Reinigungsstufe. Diese Stufe wird jedoch wegen zu hoher Kosten nicht weltweit zum Einsatz kommen können, und selbst mit ihr lassen sich hochproblematische Chemikalien wie PFAS nicht vollständig ausfiltern. Es bedarf dringend weiterer umwelt nachrichten und Lösungsansätze für diese globalen Herausforderungen.
Karte des chemischen Zustands der Grundwasserkörper in Deutschland 2021, nur zwei Drittel sind in gutem Zustand
Prävention statt Reaktion: Ein Paradigmenwechsel für sauberes Wasser
Die Notwendigkeit, nicht erst tätig zu werden, wenn die Verschmutzung bereits eingetreten ist, wird immer deutlicher. Belastungen von Wasser, Umwelt und menschlicher Gesundheit müssen von Anfang an verhindert werden. Eine schadstofffreie Produktion ist der beste Weg, die wertvolle Ressource Wasser zu schützen, da sie Verschmutzung von Beginn an vermeidet. Wird Wasser im Kreislauf geführt und in Produktionsprozessen mehrfach eingesetzt, senkt dies sowohl den Verbrauch als auch die Menge des verschmutzten Abwassers. Einige mediterrane EU-Staaten nutzen bereits aufbereitetes Abwasser zur Bewässerung in der Landwirtschaft und zeigen damit praktikable Wege auf.
An manchen Stellen kann Abwasser sogar ganz vermieden werden – zum Beispiel durch den Einsatz von Trockentoiletten. Was auf Festivals zunehmend zum Standard wird, könnte auch im Alltag dazu beitragen, Wasser zu sparen. Trockentoiletten kommen ohne Wasser aus und vermeiden so eine aufwändige chemische und biologische Abwasserbehandlung. Menschliche Fäkalien enthalten zudem wertvolle Nährstoffe, die hygienisch aufbereitet den Einsatz synthetischer Dünger reduzieren und die Bodenqualität verbessern können.
Individuelle Lösungen allein reichen jedoch nicht aus, um die umfassende wasserverschmutzung durch Landwirtschaft und andere Quellen zu bewältigen. Für echte Verbesserungen im Wasserschutz braucht es neben technologischen Innovationen vor allem politische Regulierung und einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel. Grundlegende Änderungen in Landwirtschaft, Industrie und den Sanitärsystemen sind unerlässlich, um unsere Gewässer nachhaltig zu schützen und das Recht auf sauberes Wasser für alle zu sichern. Es ist Zeit, gemeinsam für eine Zukunft zu handeln, in der sauberes Wasser kein Luxus, sondern eine Selbstverständlichkeit ist.
